ADB:Karl der Große

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Artikel „Karl I. der Große“ von Ernst Ludwig Dümmler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 127–152, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Karl_der_Gro%C3%9Fe&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 14:47 Uhr UTC)
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Karl I. der Große, fränkischer König und römischer Kaiser, † am 28. Januar 814. Karl (d. h. der Mann), der Enkel Karls des Hammers, von welchem er den Namen erbte, wurde als der ältere Sohn Pippins (des Kleinen) und seiner Gemahlin Bertha oder Bertrada, der Tochter des Grafen Charibert von Laon, im J. 742, wahrscheinlich am 2. April, geboren. Wenn es auch unbekannt ist, auf welcher der königlichen Pfalzen er das Licht der Welt erblickt haben mag, so steht es dagegen fest, daß er dem echt deutschen Stamme der Ripuarier oder Rheinfranken angehörte, der unter der Führung seiner Vorfahren an die Spitze des gesammten Frankenreiches getreten war. In die Kindheit Karls und seines um mehrere Jahre jüngeren Bruders Karlmann fiel die förmliche Erhebung seiner Eltern zur Königswürde, die sie thatsächlich längst besessen hatten (November 751), und nicht lange darnach (im December 753) wurde K. dem Papste Stephan III., der als ein Schutzflehender zu seinem Vater kam, zur Begrüßung und zum Geleite entgegengesandt, um dann in Ponthion dem feierlichen Empfange desselben beizuwohnen. Frühzeitig berührte ihn so der Glanz des römischen Hohenpriesterthums und um so tiefer mußte dieser Eindruck haften, als am 28. Juli 754 in der Kirche des Klosters St. Denis bei Paris Pippin und Bertrada nicht blos selbst vor dem Altare die Salbung von päpstlicher Hand empfingen, sondern mit ihnen auch ihre beiden jugendlichen Söhne. Durch die Weihe der Kirche wurde bei dieser Gelegenheit ihr Erbrecht geheiligt, denn Ausschließung aus derselben drohte jedem Franken, der davon abzuweichen wagen würde.

Wenn auch an dem Hofe Pippins, dessen Familienkreis noch um eine Tochter Gisla erweitert wurde, die geistige Bildung auf dem Wege mündlicher Unterweisung nicht gänzlich fehlte – Karls Vetter, Adalhard, der spätere Abt von Corbie, wird als sein Mitschüler genannt –, so ging freilich körperliche Uebung jener vor und nach fränkischer Sitte Rosse tummeln und die Waffen führen erschien als Hauptsache. Dem entsprach es dann auch, daß in dem neunjährigen Kriege, welchen Pippin gegen den aufsässigen Herzog Waifar von Aquitanien (Guienne) zu bestehen hatte, K. zum ersten Male den Vater im Frühlinge 761 begleitete und mit ihm an der Eroberung von Clermont-Ferrand, das den Flammen überliefert wurde, und anderer Festen in der Auvergne und Limousin theilnahm. 762 gingen beide Söhne mit, und vor ihren Augen wurde das abtrünnige Bourges, eine der größeren Städte, durch Kriegsmaschinen zur Ergebung gezwungen. Die Uebertragung einiger Grafschaften an K. und Karlmann im J. 763 spricht für ihre wachsende Selbständigkeit. Wenige Jahre später – eben war der aquitanische Krieg glücklich zu Ende geführt – und Pippin wurde durch schweres Siechthum veranlaßt, schon im Voraus eine Reichstheilung festzusetzen, durch welche er K. als den älteren nicht wenig bevorzugte, [128] denn Karlmann empfing nur Burgund, die Provence, Gothien, Elsaß und Schwaben, K. das übrige, während Aquitanien ein gemeinsamer Besitz bleiben sollte. Als einige Tage darauf, am 24. September 768, Pippin gestorben war, gelangten seine letztwilligen Verfügungen zur vollen Ausführung; am 9. October wurde zu Noyon K., zu Soissons Karlmann auf den Thron gesetzt und gesalbt. Bertrada überlebte ihren Gatten noch um 15 Jahre.

Tiefer Haß, dessen Wurzeln uns verborgen bleiben, trennte schon in der Kindheit die königlichen Brüder. Aufhetzungen in der Umgebung des schwächeren, Nachstellungen von dieser Seite soll K. mit Gelassenheit hingenommen haben und der Friede blieb jedenfalls äußerlich erhalten. Für die erste Heerfahrt, welche K. schon im Frühjahr 769 gegen Aquitanien unternehmen mußte, weil Hunald, der Vater des ermordeten Waifar, früher zum Mönche geschoren, sich neuerdings gegen ihn erhoben hatte, verweigerte Karlmann bei einer Zusammenkunft die Mitwirkung. K. zog allein über Angoulême an die Dordogne, wo er die Feste Fronsac anlegte und von da weiter über die Garonne. Lupus, der Herzog der Wasconen, durch seine Annäherung erschreckt, lieferte den zu ihm geflohenen Hunald nebst Gemahlin aus, womit dieser Versuch der Erhebung im Keime erstickt war, doch blieb Aquitanien ein schwieriger Besitz. Wie hier der Friede nach kurzer Störung wiederhergestellt wurde, so schien er auch eben damals nach allen Seiten hin vollkommen gesichert. Pippins Wittwe, Bertrada, reiste, nachdem sie mit Karlmann in Selz zusammengetroffen war, als Vermittlerin durch Baiern nach Italien: auf ihren Antrieb gab der Langobardenkönig Desiderius dem Papste (Stephan IV.) mehrere Städte zurück, die ihm schon Pippin zugesprochen und sie bewog ihn, seine Tochter (Berterad) ihrem Sohne K. zur Gemahlin mitzugeben. Dieser Ehe stand nicht im Wege, daß K. schon bei Lebzeiten des Vaters mit einer edlen Fränkin Himiltrud in vertrauter Verbindung gelebt und mit ihr einen Sohn gezeugt hatte. In die Verständigung wurde auch der andere Schwiegersohn des Desiderius, der Baiernherzog Tassilo, mit einbegriffen, obgleich er schon seit 7 Jahren in offener Auflehnung gegen die fränkische Oberhoheit verharrte.

Rasch genug erfolgte ein Umschwung, als am 4. December 771, bevor die Spannung zu offenem Kriege geführt hatte, in der Pfalz Samoussi bei Reims Karlmann durch eine Krankheit hingerafft wurde. Sogleich begab sich eine Anzahl der mächtigsten Großen seines Reichstheiles, wie der Bischof Wilchar von Sitten, der Abt Folrad von St. Denis, einer der in die karolingische Politik am Tiefsten eingeweihten Staatsmänner, die Grafen Warin und Adalhard zu K. nach Corbeny, und unter ihrer Mitwirkung wurde er daselbst zum Herrscher über das gesammte Frankenreich gesalbt. Wenn hierbei das Erbrecht der beiden unmündigen Söhne Karlmanns nicht zur Geltung kam, so war dies eine Ausschließung, für welche es keineswegs an Beispielen aus früherer Zeit mangelte. Karlmanns Wittwe, Gerberga, obgleich von ihrem Schwager in keiner Weise bedroht, traute ihm dennoch feindliche Absichten zu und floh vor ihm mit ihren Kindern, von einigen ihrer Großen begleitet, unter denen Autchar die erste Stelle einnahm, nach Italien. In dem nämlichen Jahre hatte bereits der König seine Gemahlin aus nicht näher bekannten Gründen verstoßen und ihrem Vater Desiderius, schwanger wie es heißt, zurückgeschickt, zu dem auch Gerberga sich wendete. Mag die von der Mutter gestiftete Verbindung ihm vielleicht von Anfang an zuwider gewesen sein, so war doch diese Scheidung ohne ihre Schuld eine ungesetzliche, welche die Mißbilligung streng gesinnter Männer hervorrufen mußte. Nicht viel später vermählte sich K. wieder mit der schönen und sittsamen, damals erst 13jährigen Hildegard, einer Enkelin des Alamannenherzogs Gotfrid, vielleicht auch deshalb, [129] um in dem neu erworbenen Schwabenlande die fränkische Herrschaft noch mehr zu befestigen.

Mit dem Ausgange des Jahres 771, mit der Erwerbung der Gesammtherrschaft, beginnt eigentlich erst Karls selbständige Regierung und eine erstaunliche Fülle von Thaten, eine wie mit Nothwendigkeit aus der anderen entspringend, drängt sich in dem nächsten Menschenalter zusammen. Jetzt konnte er erst daran denken weiter zu führen, was sein Vater begonnen hatte. Zu der Erbschaft desselben gehörte das Verhältniß zu Italien, welches schon bei jener Salbung durch Stephan ausdrücklich auf ihn und seinen Bruder übertragen worden, indem sie beide zum Patricius von Rom ernannt, dadurch eine Schirmherrschaft über die römische Kirche empfangen hatten. Auf den Papst Stephan, welcher sich zuletzt mit den Langobarden verständigt, folgte 772 Hadrian, von Anfang an den Franken zugeneigt. Als daher Desiderius von ihm forderte, er solle gleich ihm die Söhne Karlmanns als Frankenkönige anerkennen und sie sogar als solche salben, wies er dies Ansinnen entschieden zurück. Mit einem starken Heere setzte sich der König gegen Rom in Bewegung, Hadrian aber rief im Frühlinge 773 in seiner Bedrängniß Karls Hilfe an, an die auch langobardische Flüchtlinge sich wendeten. Ein folgenschwerer Entschluß wurde von dem Frankenkönige gefordert in einem Augenblicke, in welchem bereits der Sachsenkrieg eröffnet war. Als sein Vater einst 18 Jahre früher zum ersten Male gegen die Langobarden zog, hatte ein Theil der fränkischen Großen diesem Bruche mit bisherigen Freunden heftig widerstrebt: wenn auch jetzt, wo die Vernichtung des Langobardenreiches die unausbleibliche Folge sein mußte, von einem solchen Widerspruche nichts verlautet, so versuchte K. trotzdem dem Zusammenstoße noch auszuweichen, indem er Desiderius Frieden anbot gegen die Zurückgabe der dem Papste entrissenen Städte und gegen Zahlung von 14 000 Goldschillingen. Erst als dies abgelehnt worden, berief er die Heerversammlung nach Genf und ließ dort von den Franken den Beschluß zum Kriege genehmigen.

Während ein Theil der Truppen unter der Führung seines Oheims Bernhard über den großen St. Bernhard vorrückte, überschritt er selbst den Mont Cenis und versuchte dort an den von Desiderius besetzten Klausen diesen noch einmal durch Unterhandlungen zu gewinnen. Der königlichen Schaar aber gelang es inzwischen die Langobarden zu umgehen, so daß sie ohne Schwertstreich nach Pavia zurückweichen mußten. Bald sah sich Desiderius in seiner Hauptstadt von den Franken belagert, sein Sohn Adelchis zog sich zuerst nach Verona zurück. Hier ergaben sich dem Sieger die Wittwe Karlmanns mit seinen Söhnen.

Die lange Dauer der Einschließung Pavia’s (bis Mitte Juni 774) gewährte K. Zeit zu Ostern den Papst in Rom zu besuchen, um sich als Patricius der Stadt zu zeigen und sein Verhältniß zu ihm zu regeln, denn der Anschluß der Spoletiner an Rom unter ihrem Herzoge Hildebrand und anderer Orte, wie Osimo’s und Ancona’s, mußte ihm bedenklich erscheinen. Mit denselben Ehren von dem Papste begrüßt, wie einst die Statthalter der griechischen Kaiser, feierte er mit ihm in großer Pracht das Osterfest und bestätigte die Schenkung seines Vaters an die römische Kirche. Wenn auch die Wünsche Hadrian’s und die Verheißungen der Urkunde viel weiter reichten – gerade in dieser Zeit entstand die merkwürdige Schenkung Constantins an den Papst Silvester, in der zum ersten Male das Phantasiegebilde eines selbständigen Kirchenstaates auftauchte –, so hatte K. doch keine Neigung ihm thatsächlich mehr zu gewähren als das sogen. Exarchat und die Pentapolis. Als der König von Rom nach Pavia zurückkehrte, ergab sich dies und die übrigen langobardischen Städte folgten nach: Desiderius selbst mit Frau und Tochter, seine Königsburg und sein königlicher Schatz fielen in die Hände des Siegers. Adelchis, der Sohn und Mitregent des [130] Königs, des Volkes letzter Hort, entwich nach Konstantinopel, Desiderius selbst verscholl als Mönch in dem Kloster Corbie. K. nahm die Huldigung des ganzen Reiches entgegen, von dem nur Benevent und Spoleto noch fehlte, er nannte sich in seinen Urkunden fortan König der Franken und Langobarden und so bestand unter ihm gleichsam das langobardische Reich fort, indem er blos die Königsburg mit Franken besetzte, viele der alten Herzoge aber in ihren Aemtern beließ. Reichte zunächst seine Macht nur bis Tuscien, so fügte er doch schon 776 Spoleto hinzu, das er dem Papste nicht überlassen wollte.

Von Konstantinopel aus, woselbst Adelchis die Würde eines Patricius erhalten hatte, wurde mit griechischer Unterstützung eine nationale Erhebung vorbereitet, an der besonders auch Desiderius’ Schwiegersohn, der Herzog Arichis von Benevent, sich betheiligen sollte. Nur in Friaul kam sie durch den von K. selbst zum Herzoge bestellten Langobarden Hrodgaud zum Ausbruche. Mit blitzartiger Schnelligkeit eilte der König mitten im Winter (Anfang 776) mit einer auserlesenen Schaar über die Alpen; Hrodgaud war bereits im Kampfe gefallen, Cividale, Treviso und andere Städte wurden erobert. Die Aufständischen verloren ihre Güter und mußten selbst in die Verbannung gehen, wenn sie nicht wie der edle Ajo sogar zu den Avaren flüchteten. In mehrere oberitalische Städte wurden Grafen mit fränkischen Besatzungen eingesetzt.

Nach diesem raschen Zuge fand K. erst im J. 781 bei einem dritten längeren Aufenthalte jenseit der Alpen Muße sich eingehender mit den Verhältnissen Italiens zu beschäftigen, die allmählich eine gründlichere Umwandlung erfuhren. Bis auf Spoleto, wo der Papst seine oberherrlichen Rechte nicht durchsetzen konnte, wurde die herzogliche Gewalt überall beseitigt und das ganze Land in Grafschaften getheilt, die K. großentheils Franken übergab. Unter ihnen standen als Verwalter der königlichen Besitzungen die Gastalden. Das Lehnswesen, wie es sich bereits vollständig ausgebildet hatte, die fränkische Kriegs- und Gerichtsverfassung mit ihren Schöffen wurde eingeführt. Wenn auch die langobardischen Gesetze, wie sie von Rothari bis Aistulf aufgezeichnet worden, in Kraft blieben, so wurde doch übrigens die fränkische Gesetzgebung ohne Zuziehung der Langobarden einfach auf Italien ausgedehnt und manche besonderen Gesetze für dies Land hinzugefügt. Erst unter den italischen Unterkönigen findet wieder eine Mitwirkung des Reichstages (meist in Pavia) bei der Gesetzgebung statt. Der Antheil des Volkes fällt fort: neben den Richtern, d. h. den höheren Beamten, erscheinen Bischöfe, Aebte und Kronvassallen.

Ein wichtiger Schritt für die Ordnung des Landes lag nun darin, daß K. bei Gelegenheit der Osterfeier in Rom seine beiden jüngeren Söhne Pippin und Ludwig von dem Papste zu Königen von Italien und Aquitanien salben ließ. Pippin, der ursprünglich Karlmann hieß, wurde damals von Hadrian erst getauft. Vermochte auch der Knabe keineswegs selbst zu regieren, sondern statt seiner der Abt Adalhard, Karls Vetter, und andere seiner Begleiter, so wuchs er doch in dem ihm bestimmten Lande auf und leichter konnte unter einem besonderen Haupte das in Lage und Volksart abgesonderte Italien sich in die neue Ordnung der Dinge fügen. Aehnliche Vortheile brachte die Erhebung des noch jüngeren Ludwig für Aquitanien mit sich; auch dort, in einer unzuverlässigen, wankelmüthigen Bevölkerung hatte K. schon 778 meist fränkische Grafen eingesetzt und die Bischöfe und Aebte durch Schenkungen gewonnen.

Der römische Aufenthalt führte auch zu einem Abkommen mit dem Papste, in welchem dieser den Dukat von Rom, das Exarchat von Ravenna, die Pentapolis (d. h. den Küstenstrich an der Adria bis Ancona) behielt, ferner Capua mit campanischen Städten, die Sabina und einen kleinen Theil des langobardischen Tusciens nebst einigen Gütern in Unteritalien, dazu einen Zins aus [131] den fränkischen Landschaften Spoleto und Tuscien. Weitergehende Wünsche wurden nicht erfüllt, auf Corsika verzichtete später Leo III. Mit dem griechischen Reiche, welches außer Sicilien auch den Süden der Halbinsel mit Neapel und Gaeta und im Norden Venedig behalten, wurde durch Verlobung von Karls ältester Tochter Hrotrud mit dem jungen Kaiser Constantin VI. ein gutes Einvernehmen angebahnt. Zwischen diesen Mächten war als letzter Rest des langobardischen Reiches das Herzogthum Benevent übrig geblieben, dessen Herzog Arichis eine völlig selbständige Stellung einnahm. Auf einem vierten italienischen Zuge im Winter 786 zu 787 bedrohte ihn K. mit einem Angriffe, den er nicht in dem festen Salerno abzuwarten wagte, vielmehr bot er dem nahenden Könige in Capua Unterwerfung an, und ein Tribut von jährlich 7000 Schillingen bekräftigte die Schwüre der Treue, sowie 13 Geiseln, darunter des Herzogs Sohn Grimoald. So war hier zwar ein Abschluß erreicht, doch blieb Benevent stets von schwankendem Gehorsam, zumal da sehr bald wieder ein Bruch mit den Griechen eintrat, die ihre alten Ansprüche niemals ganz aufgaben, nach wiederholten Angriffen verpflichtete sich Grimoald II. schließlich 812 zum Tribute.

Während die Franken den Langobarden politisch und kriegerisch überlegen waren, an geistiger Bildung unstreitig hinter ihnen noch zurückstanden, so erscheinen sie dagegen als die fortgeschritteneren gegenüber dem letzten deutschen Stamme, der hartnäckig dem Christenthume wie auch ihrer Herrschaft trotzte, den Sachsen. Dieses an Zahl und Kraft ihnen wenig nachstehende Volk füllte die weite Ebene von der Elbmündung hinweg über die Weser, beinahe bis zum Rhein, im Süden fast bis zur Sieg, bis zur Vereinigung der Fulda und Werra, bis zur Unstrut und Saale und reichte auch auf das rechte Elbufer hinüber bis zur Eider. Von einem kleinen nordelbischen Volke ausgehend, das nach seinem kurzen Schwerte, dem Sahs, sich also benannte, hatte dieser Name viele ältere berühmtere verschlungen, wie die Angrivarier und Cherusker, die Chauken und Brukterer, die Barden und Angeln, und Theile von Hessen und zumal von Thüringen waren ihnen zum Raube geworden. Kühne Seefahrer und gefürchtete Seeräuber auf leichten Fahrzeugen an den gallischen und brittischen Küsten schwärmend, hatten die Sachsen die Insel Britannien endlich ganz für sich gewonnen, während ein anderer Theil mit ihren alten Nachbarn, den Langobarden, bis in die Poebene vordrang, aber die große Menge des Volkes blieb ruhig in den alten Sitzen, nicht von Königen beherrscht, sondern selbständig in den einzelnen Gauen unter erwählten Fürsten ohne ein gemeinsames Band. Fast unberührt von dem Christenglauben beteten sie zu Wotan Donar Saxnôt und ihren Genossen. Die Todesstrafe wendeten sie, der kühnste und rauheste unter den deutschen Stämmen, in sehr ausgedehntem Maße an, sogar für den, der eine Frau von höherem Geburtsstande heirathete. Denn streng geschieden waren die Stände und den Adel, der vielfach über grundsässige Freie und Hörige erbliche Herrschaft übte, hob das sechsfache Wergeld der Freien hoch über diese empor, während Freie und Liten (oder Freigelassene) einander näher standen. Nur innerhalb der einzelnen Landestheile oder Stämme, in welche das Ganze zerfiel, Westfalen, Engern, Ostfalen (Osterleute), Nordalbingier (Nordleute) scheint man sich wol zu gemeinsamer Kriegsführung unter Herzogen geeinigt zu haben. Daß das halbe Jahrtausend seit Tacitus in der altgermanischen Verfassung der Sachsen keinen wesentlichen Wandel hervorgebracht hatte, ist ein deutlicher Beweis, wie sehr es fremder Einwirkung bedurfte, um die Germanen auf eine höhere Kulturstufe zu heben, aber sie theilten mit jenen ihren Vorfahren auch die hohe Schätzung weiblicher Keuschheit, die unerbittliche Strenge gegen Gefallene.

Obgleich von den den Sachsen in mancher Beziehung ähnlichen Friesen ein großer Theil bereits von Karls Vorgängern unterjocht worden, wurden von ihnen [132] gegen die Sachsen nur unbedeutende Grenzfehden geführt, die nie über Weser und Ocker oder über den Schwabengau hinausgingen und lediglich kleine Theile des Volkes zu vorübergehender Abhängigkeit zwangen. Bei dem Mangel fester Naturgrenzen und dem räuberischen Charakter des Volkes mußte der Krieg stets aufs Neue entbrennen und auch eine gesicherte Bekehrung der anstoßenden deutschen Stämme ließ sich kaum ohne die der Sachsen denken. Schon auf dem Maifelde des Jahres 772 wurde ein neuer Grenzkrieg gegen diese lästigen Nachbarn in Angriff genommen. Am linken Ufer der Diemel ward von den Franken die wichtige Eresburg (an der Stelle des heutigen Stadtbergen) im Gebiete der Engern zerstört, von dort drang das Heer 6 Stunden weiter in den Bergwald Osning und vernichtete ein berühmtes heidnisches Heiligthum, die sogen. Irminsäule, einen dem Gotte Donar geweihten Baumstamm von gewaltiger Größe, in dessen Umgebung Bauanlagen mit einem Tempelschatze reiche Beute gewährten. Von weiteren Eroberungen war noch keine Rede, nur 12 Geiseln wurden mitgenommen. Karls längere Abwesenheit in Italien ermuthigte in der ersten Hälfte des Jahres 774 die Engern zu einem Rachezuge nach Hessen, auf dem sie die Kirche zu Fritzlar bedrohten, während westfälische Schaaren die zu Deventer an der Yssel niederbrannten. So suchte man in feindlichem Gegensatze des Glaubens vor Allem gegenseitig die Heiligthümer heim.

Nachdem schon im September 774 mehrere fränkische Abtheilungen zu Streifzügen entsandt worden, wurde auf der Reichsversammlung zu Düren im folgenden Sommer der Beschluß gefaßt, mit ganzer Macht Sachsen anzugreifen und es vollständig zu unterjochen. Eine Schaar von Priestern und Aebten folgte dem Heere, um sofort an die Bekehrung der Unterworfenen Hand anzulegen. Nachdem der König den Rhein überschritten, Siegburg und das von den Sachsen zerstörte Eresburg durch Besatzungen gedeckt hatte, erzwang er bei Höxter am Brunsberge den Uebergang über die Weser durch ein siegreiches Treffen. Als er dann bis zur Ocker vordrang, unterwarfen sich die Ostfalen unter Hassio und leisteten den Eid der Treue und nicht minder auf dem Rückwege von dort im Bukkigau die Engern unter Bruno. Dieser rasche und leichte Erfolg ohne Blutvergießen erklärt sich zum Theil sicher dadurch, daß K., der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, vor Allem den Adel zu gewinnen, den Fürsten gegenüber weder Versprechungen noch Geschenke sparte. Er erreichte seinen Zweck so gut, daß sowohl Hassio wie Bruno nicht wieder am Kampfe theilnahmen. Ein hartnäckigerer Geist lebte in den Westfalen, die wahrscheinlich schon damals von Widukind geführt wurden; die bei Lübbeke am linken Weserufer zurückgebliebenen königlichen Truppen überfielen sie Nachts und brachten ihnen nicht unerheblichen Verlust bei, den der König rasch genug rächte, um sodann auch von ihnen Treuschwur und Geiseln zu empfangen. Diese wurden an einzelne Grafen übergeben oder namentlich auch fernerhin zur christlichen Erziehung in fränkische Klöster vertheilt.

Karls zweiter italienischer Zug im J. 776 bewog die Sachsen zu neuer Erhebung, die sich zunächst gegen die Stützen der fränkischen Herrschaft im eigenen Lande richtete; die Eresburg wurde mit den Waffen genommen, bei der Siegburg erlitten sie durch einen Ausfall der Belagerten eine empfindliche Niederlage. Kaum heimgekehrt, brach K. im Sommer von Worms aus in ihr Land; durch Verschanzungen nicht aufgehalten, gelangte er bis zu den Quellen der Lippe, woselbst sächsische Männer, um Verzeihung für den Aufstand zu erlangen, in großer Zahl ihm ihr Land übergaben und mit der Treue zugleich Annahme des Christenthums gelobten. Die hergestellte Eresburg und eine neue Feste an der unteren Lippe, die Karlsburg, sicherten die Unterwerfung des Volkes. Als K. dann im folgenden Jahre 777 zum ersten Male auf westfälischer Erde zu Paderborn das [133] Maifeld abhielt, schien aller Widerstand gebrochen: willfährig erschienen vor dem Könige Adliche, Freie und Liten in Schaaren und ließen die Taufe über sich ergehen. Nur unter der Bedingung wurde dem Adel Verzeihung gewährt, daß derselbe eidlich geloben mußte, bei erneutem Treubruche die Freiheit und sein Gut verwirkt zu haben. Nicht alle aber waren gekommen: Widukind, der Herzog der Westfalen mit seinen nächsten Genossen, der die Rache der Franken am meisten zu fürchten hatte, weilte seiner Zeit harrend bei dem Dänenkönige Sigifrid.

Gerade auf dem Reichstage zu Paderborn erreichte den König eine Botschaft aus dem fernen Spanien. Solaiman el Arabi, der Statthalter von Barcelona und Gerona, der gleich anderen muhamedanischen Befehlshabern sich der Herrschaft des Ommejaden Abderrhaman nicht fügen wollte, rief den Beistand des mächtigen Frankenkönigs an. So fand dieser im J. 778 willkommene Gelegenheit die Feinde, die erst sein Vater vom gallischen Boden völlig verdrängt hatte, durch ihre Spaltung begünstigt, in ihrem eigenen Lande aufzusuchen. Der Feldzug begann sehr glänzend: der König eroberte das zu Asturien gehörige Pampeluna, die Hauptstadt der christlichen Basken, deren Mauern er schleifen ließ, er drang glücklich bis zum Ebro vor; vermochte aber das feste Saragossa nicht zu nehmen, so daß der beste Erfolg des Zuges in einigen Geiseln und in näherer Kenntniß der spanischen Verhältnisse bestand. Auf dem Rückwege durch die Pyrenäen aber traf das fränkische Heer schweres Unheil. Die Basken, ein leichtfüßiges Bergvolk, hatten der einen Abtheilung, welche die Nachhut bildete, in dem Thale Roncevaux einen Hinterhalt gelegt und brachten ihr am 15. August durch plötzlichen Ueberfall eine empfindliche Niederlage bei, indem sie zugleich das Gepäck plünderten. Unter den Gefallenen befand sich Eggihard, der Truchseß, Anselm, der Pfalzgraf und Ruotland, der Graf der brittischen Mark, der durch die Sage so erstaunliche Berühmtheit erlangt hat.

Die Kunde dieses unverhofften Mißgeschickes ermunterte die Sachsen zu einem Rache- und Plünderungszuge, auf welchem sie nach Zerstörung der Karlsburg bis nach Deutz und bis zur Moselmündung sich ausbreiteten und ihre Wuth allenthalben, besonders wieder an den Kirchen ausließen. Dem verhaßten Kloster Fulda vermochten sie indessen nichts anzuhaben und schon an der Eder ereilte sie das fränkisch-alamannische Aufgebot. Der König selbst schlug 779 die Westfalen bei Bocholt und nahm an der Weser die Wiederunterwerfung der Abgefallenen entgegen. 780 hielt er bei den Quellen der Lippe die Reichsversammlung ab und theilte nunmehr das ganze Land in Missionsbezirke. Bei Ohrum an der Ocker, wo er sodann Halt machte, fanden sich viele Edlinge aus dem Bardengaue und aus Nordalbingien auf sein Geheiß bei ihm ein, um die Taufe zu empfangen. Durch Nordthüringen rückte K. über die bisherigen Grenzen hinausschreitend bis an den Elbstrom (in der Gegend von Wolmirstedt), und die Slaven jenseit desselben verpflichteten sich jede Gebietsverletzung zu vermeiden. Mit zahlreichen Geiseln kehrte der König heim und nachdem das folgende Jahr völlig friedlich verlaufen, wurde im Juli 782 bei Lippspringe eine Reichsversammlung abgehalten, auf welcher von den Häuptern des besiegten Volkes fast nur Widukind fehlte. So sicher schien der Gehorsam, daß K., indem er das ganze Land nach fränkischer Weise einrichtete, sächsische Edlinge zu Grafen setzte. Eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen wurden hier oder wenig später für das neu eroberte Gebiet erlassen, die hauptsächlich Förderung und Verbreitung des Christenthums bezweckend, der Starrheit des sächsischen Charakters gemäß wahrhaft mit Blut geschrieben waren. Todesstrafe stand auf Beraubung oder Anzündung einer christlichen Kirche, auf Fleischgenuß während der 40tägigen Fasten, auf den Mord eines Priesters, auf Verbrennung der Leichen und heidnische Bestattung, auf die Weigerung sich taufen zu lassen, auf Menschenopfer, auf Verschwörung [134] mit Heiden gegen Christen, auf Empörung, Mädchenraub etc., doch sollte dem das Leben geschenkt werden, der heimlich begangene todeswürdige Verbrechen dem Priester beichtete und Buße thäte. Die Gotteshäuser, aufs reichlichste ausgestattet, erhielten das Asylrecht in weitestem Maße und alle Sachsen sollten ihnen von ihrem Vermögen und ihrer Arbeit den Zehnten darbringen. Allgemeine Volksversammlungen durften nur auf Berufung von Königsboten zusammentreten. Mancherlei andere kirchliche Verordnungen schlossen sich an, wie das Gebot der Kindertaufe im ersten Lebensjahre, Einschärfung der Sonntagsfeier etc.

Der Reichstag zu Lippspringe und die an ihn sich anlehnenden fränkischen Gesetze hatten es den Sachsen zum vollen Bewußtsein gebracht, daß ihre nationale Selbständigkeit gebrochen und zernichtet sei. Die Stellung des mächtigen Adels mußte trotz aller klugen Schonung und Bevorzugung einzelner sich verschlechtert haben, vor Allem die drückende Last der Zehnten, die den Neubekehrten zugemuthet wurde, dünkte allen unerträglich. Kaum hatte K. den Rücken gekehrt, so tauchte aus der Verborgenheit Widukind auf und schaarte alle Unzufriedenen um sich. Ein ostfränkisches Heer, welches von den Sachsen verstärkt gegen die slavischen Sorben an der Saale ziehen sollte, sah sich durch die Nachricht von einem Aufstande veranlaßt umzuwenden und am Weserufer bei Hausberge unweit der Höhenkette, die den Namen Süntel führt, einen Angriff zu versuchen, aber so übereilt und ohne Ordnung erfolgte dieser, daß die Führer, der Kämmerer Adalgis, der Marschalk Gailo, der Pfalzgraf Worad fielen und nur ein geringer Rest zum Grafen Theoderich sich rettete. Wie einst nach der Hermannsschlacht die römischen Sachwalter als Werkzeuge der Fremdherrschaft von den Cheruskern vorzugsweise verfolgt wurden, so warf sich die Wuth der Sachsen jetzt am meisten auf die christlichen Glaubensboten, von denen manche den Märtyrertod erdulden mußten. Für den Aufstand wie für diese Verfolgungen aber nahm K. blutige Rache: zu Verden an der Aller ließ er an einem Tage 4500 Geiseln, die ihm als Theilnehmer der letzten Erhebung von dem sächsischen Adel selbst ausgeliefert worden, mit dem Schwerte enthaupten. Er vollzog dies grause Gericht gegen die sächsischen Freiheitskämpfer auf Grund der für Treubruch angedrohten Todesstrafe, andere Uebelthäter führte er gefangen mit sich fort.

Der sächsische Trotz aber war hierdurch nicht gebeugt, vielmehr aufs Aeußerste gereizt und gerade in dem folgenden Jahre 783 fanden die einzigen größeren Schlachten dieses Krieges statt. Die Seele des Widerstandes war Widukind. Ehe die Sachsen sich noch ganz gesammelt hatten, wurden sie zuerst bei Detmold von K. selbst überfallen und mit starkem Verluste geschlagen – er hatte kurz zuvor seine geliebte Gemahlin Hildegard beigesetzt –, dann, nachdem die beiden großen Heere völlig beisammen waren, kämpften sie mit demselben Erfolge in einer großen Schlacht an dem Flüßchen Hase, vielleicht in der Nähe von Osnabrück, zu der K. von Paderborn aufgebrochen war. Ueber die Weser zog der König hierauf verwüstend bis zur Elbe. Im folgenden Jahre, in welchem er von Weihnachten bis Juni bei der Eresburg verweilte und dieselbe wiederherstellte, suchte er, von seinem ältesten Sohne Karl unterstützt, die noch immer unruhigen Westfalen heim, sowie die Nordthüringer bis zur Elbe, ja er ließ sogar, um neue Bewegungen nieder zu halten, das Heer in Eresburg und der Umgegend überwintern, von wo manche Streifzüge unternommen wurden. Im Juni fand wieder ein Reichstag auf sächsischem Boden zu Paderborn statt, ein Zug von dort aus an die untere Weser und Elbe vollendete die Sicherung des Nordostens. Als K. dort im Bardengau vernahm, daß Widukind und Abbio, ein anderer vornehmer Sachse, jenseit der Elbe sich aufhielten, forderte er sie durch sächsische Abgeordnete zur Unterwerfung auf und ließ ihnen nebst Geiseln zu ihrer Sicherheit [135] Straflosigkeit für alles Frühere versprechen. In der That erschienen beide Männer im königlichen Hoflager zu Attigny mit ihren Genossen und bei der Taufe übernahm der König selbst für Widukind Pathenstelle und machte ihm reiche Pathengeschenke. Dieser, überzeugt, daß jeder fernere Widerstand gegen die fränkische Uebermacht nur dem eigenen Volke verderblich sein müsste, blieb fortan ein eifriger Christ und zu Enger bei Herford, das er gestiftet hatte, fanden seine Gebeine Ruhe. Mag auch die Sage manches von dem gewaltigsten Vorkämpfer der sächsischen Freiheit zu melden wissen, die geschichtliche Ueberlieferung in ihrer Dürftigkeit vermag ihm ebenso wenig wie Adelchis gerecht zu werden. Ganz Sachsen war nunmehr unterjocht und ein auf Karls Wunsch vom Papste angeordnetes kirchliches Dankfest brachte dies freudige Ereigniß zu allgemeiner Anerkennung.

Die Jahre des Friedens, die nach dieser Seite hin jetzt eintraten, benutzte K., außer unbedeutenden Kriegen gegen die Bretagne und Benevent, dazu, um endlich das schwankende Verhältniß Baierns in ein festes und klares umzuwandeln. Tassilo, der Sohn Oatilos, durch seine Mutter Hiltrud ein Vetter Karls und mit ihm fast gleichaltrig, war als Kind zur Nachfolge berufen worden und hatte Baiern als ein fränkisches Lehen erhalten. Herangewachsen mußte er 757 diese Verpflichtung auf dem Reichstage zu Compiègne in der feierlichsten Weise Pippin und seinen Söhnen gegenüber erneuern, aber schon 763 brach er sie im aquitanischen Kriege, indem er eigenmächtig das königliche Feldlager verließ. In der nun folgenden Zeit der Selbständigkeit vermählte sich Tassilo mit Liutbirg, der Tochter des Königs Desiderius, und entwickelte im Innern wie nach Außen eine rege Thätigkeit. In jener Hinsicht gab er Zeugniß von seinem kirchlichen Eifer durch Berufung von Synoden und durch Stiftung von Klöstern, wie die von Kremsmünster und Innichen, in dieser aber erweiterte er seine Macht, indem er 772 das vorher schon halb abhängige slavische Alpenland Kärnthen mit Waffengewalt vollends unterwarf und auch die Kirche daselbst fest begründete. Da geschah es im J. 781, daß der Herzog, nachdem in Rom K. mit Hadrian sich verständigt hatte, durch eine päpstliche und königliche Gesandtschaft zugleich an seine Pflicht gemahnt, der Ladung nach Worms nicht widerstreben konnte und sich dort nochmals als Vassallen bekannte.

Bald aber trat von Neuem eine Spannung ein – bei Botzen kämpften schon 784 Baiern und Franken mit einander – und zumal Liutbirg soll seit dem Sturze ihres Vaters stets die feindseligsten Gesinnungen gegen dessen Besieger gehegt haben. Der Papst, durch bairische Gesandte 787 um seine Vermittelung angegangen, bedrohte Tassilo mit seinem Bannfluche, wenn er die den Franken geschworenen Eide nicht halten wolle. Unmittelbar darauf wurde im Sommer von Worms aus der Krieg gegen den Baiernherzog mit gewaltiger Macht ins Werk gerichtet, indem von drei Seiten Heere in sein Land einrücken sollten. Tassilo aber zum Widerstande noch nicht hinlänglich gerüstet und entschlossen, von manchen seiner Edelinge und von der hohen Geistlichkeit, die sich durch den Papst bestimmen ließ, im Stiche gelassen, zog es vor das Aeußerste zu vermeiden, auf dem Lechfelde am 3. October abermals die fränkische Oberhoheit anzuerkennen und zur Sicherung dessen seinen Sohn Theodo nebst 12 anderen Männern als Geiseln zu stellen. Das ganze bairische Volk leistete den Franken den Eid der Treue. Bald genug erhoben sich neue Anklagen, welche den König veranlaßten den Herzog im Anfang des Sommers zur Verantwortung nach Ingelheim vorzuladen. Neben manchen Aeußerungen unzufriedener Gesinnung wurde ihm namentlich ein geheimes Bündniß mit den heidnischen Avaren Schuld gegeben. Ein Gericht der Großen, an dem die Baiern selbst theilnahmen, verurtheilte ihn zum Tode, theils aus diesem Grunde, theils sehr unbilliger Weise weil er vor 25 Jahren das Heer Pippins verlassen hatte. Indem ihm K. das Leben schenkte, mußte [136] Tassilo sich doch zum Mönche scheeren lassen und endete als solcher später in Lorsch. Zuvor verzichtete er auf all’ sein Recht und Eigen nochmals (794) und gewährte und empfing Verzeihung. Auch sein Weib, seine Söhne und Töchter traten gezwungen sämmtlich in das Kloster. Solchen Ausgang nahm nach mehr denn 200jähriger Herrschaft das ruhmvolle Haus der Agilolfinger. Die Avaren, welche zu spät mit zwei Heeren in die Mark Friaul und in Baiern eingefallen waren, wurden überall, namentlich auf dem Ipsfelde an der Donau, mit Verlust zurückgeschlagen. Baiern erhielt nebst dem dazu gehörigen Kärnthen keinen eigenen Herzog wieder, doch wurde dem schwäbischen Grafen Gerold, dem Bruder der Königin Hildegard, eine Oberleitung übertragen, die sich sowol auf die Anführung des Aufgebotes als auch auf das Gericht bezog, und für Ordnung und Recht im Lande sorgen sollte. Ihm folgte Karls Seneschalk Audulf später in der gleichen Stellung nach.

Durch die Bezwingung Sachsens und Baierns waren auf der einen Seite die Slaven, auf der anderen die Avaren unmittelbare Nachbarn des fränkischen Reiches geworden, barbarische Völker, nicht gewohnt sich innerhalb ihrer Grenzen zu halten. Schon im J. 789, während in Sachsen die tiefste Ruhe herrschte, ging K. über die Elbe, auch von Sachsen und Friesen unterstützt, um den verbündeten Stamm der Abodriten (im heutigen Mecklenburg) gegen die weiter südwärts wohnenden Wilzen, eines der tapfersten Slavenvölker, zu schützen. Bis zur Peene drang er vor und nahm die Unterwerfung des Königs Dragowit entgegen, dem er das eroberte Land anvertraute.

Jetzt aber schlug auch die letzte Stunde des avarischen Reiches, dieses alten Erbfeindes aller christlichen Staaten in der Runde. Grenzstreitigkeiten, vielleicht über Kärnthen, gaben den nächsten Anlaß zum Kriege. Das einst so gefürchtete türkische Reitervolk der Avaren, an Raubgier, Wildheit und Beweglichkeit den Hunen vergleichbar, weiland eine Geißel zumal des byzantinischen Reiches, war im Besitze der erbeuteten Reichthümer längst verweichlicht, durch Zwietracht geschwächt und durch die Bulgaren von hinten eingeengt. Als daher K. am 5. September 791 in eigener Person von der Enns, dem Grenzflusse aus, gegen sie vorrückte an der Spitze eines gewaltigen Heeres aus allen Theilen seines Reiches, das an beiden Ufern der Donau und auf dem Strome selbst sich fortbewegte, unter Mitwirkung Pippins von Italien her, der schon am 23. August den ersten Sieg über sie davontrug, vermochten die Verschanzungen am Kamp und am Wienerwalde ihn nicht hemmen und auf einem Zuge nahm er die ganze Strecke bis zur Raab in Besitz. Die Widerstandskraft der Avaren, die keine Schlacht gegen den König wagten, war nicht entfernt mit der zähen Ausdauer der Sachsen zu vergleichen. Diese benutzten denn auch in der That den Krieg gegen die Avaren, mit denen sie sogar durch Boten in Verbindung traten, zu einer weit verbreiteten Erhebung im J. 792, die sich besonders auch gegen das aufgedrungene Christenthum richtete. Nachdem Graf Theoderich, der gegen jene ziehen sollte, an der Weser dem Aufstande zum Opfer gefallen, unternahm K. 794 und 795 Heerfahrten gegen das treulose Volk, die erste mit seinem Sohn Karl bis in die Gegend von Paderborn, die andere bis zur unteren Elbe, von wo zahlreiche Geiseln ihm folgen mußten.

In dem Lager an der Elbe stellte sich zuerst ein avarischer Häuptling, Tudun genannt, der Bekehrung und Gehorsam anbot. Der Krieg, der durch mehrere Jahre unterbrochen war, entbrannte von Neuem, indem der tapfere Herzog Erich von Friaul, ein Straßburger, im Anfange des Winters 795 in das Herz des feindlichen Reiches zwischen Donau und Theiß vordrang, wo die Königsburg sich befand, die als Ring von den Franken bezeichnet wird. Sie wurde von meilenlangen kreisförmigen Verschanzungen umschlossen, aus Stämmen gebildet, deren 20 Fuß breite Zwischenräume mit Steinen oder Lehm ausgefüllt und oben mit Rasen bedeckt waren. [137] Unermeßliche Schätze, aus der Beute von Jahrhunderten und zumal aus byzantinischen Tributen aufgespeichert, fielen den glücklichen Siegern zu und schon zu Anfang des Jahres 796 konnte K. sie mit vollen Händen an den Papst, an die Kirchen seines Reiches, an geistliche und weltliche Große und selbst an fremde Herrscher spenden. Die Avaren, die ihre Oberhäupter, den Khakhan (d. i. Khan der Khane) und den Jugur, ermordet hatten, unterwarfen sich ohne weitere Gegenwehr und im Juni bereits hob der König den Tudun selbst aus der Taufe, der mit zahlreichem Gefolge ihm den Treueid leistete. In lang herabwallenden, mit bunten Bändern durchflochtenen Haaren stellten sie sich dar. Während im folgenden Herbste K. quer durch Sachsen in den Wigmodigau zwischen Elbe und Weser vorrückte und große Schaaren der Bevölkerung fortschleppte, drang sein Sohn Pippin mit einem zweiten Heere in das avarische Gebiet ein, woselbst der neu bestellte Khakhan mit den übrigen Häuptlingen (den sogen. Tarkanen) ihm huldigte. Auch er gelangte bis zu jenem Ringe, dessen gewaltige Werke zerstört wurden. Reiche Schätze und viele Gefangene folgten ihm. Das Land am Plattensee bis zur Donau und den Einmündungen der Drau und Sau in dieselbe übertrug er mit seinen theils avarischen, theils slavischen Einwohnern zur Bekehrung der Salzburger Kirche. Einzelne Aufstände, die auch hier nicht ganz ausblieben, wurden rasch niedergeschlagen, doch kostete einer derselben am 1. September 799 dem hochverdienten Grafen Gerold durch einen Pfeil das Leben, etwa zur selben Zeit, da Erich vor Tersatto (bei Fiume) fiel und noch 802 wurden vor Güns zwei bairische Grafen im Kampfe erschlagen. Allein im J. 803 war alles vollendet, als K. im August zu Regensburg die Verhältnisse an der Donau endgiltig regelte. Neben dem schon früher erworbenen Kärnthen bildeten nun im Südosten Pannonien und die Ostmark die Vormauern des Frankenreiches, aus denen die geringen Ueberbleibsel der avarischen Nation rasch genug verschwanden, so daß der deutsche Ansiedler nur noch auf slavische Bewohner stieß. Zwischen Steinamanger und Heimburg saß noch ein Rest von ihnen, dessen christlich gewordene Beherrscher, Theodor und Abraham heißen die letzten, den stolzen Titel eines Khakhan weiter führten, der Osten ihres ehemaligen Reiches fiel den Bulgaren zu.

In kirchlicher Hinsicht übernahm Salzburg die Leitung, dessen Bischof Arno, einer der ausgezeichnetsten und thätigsten Staatsmänner Karls, im Hinblick auf die große Erweiterung seines Gebietes schon 798, in demselben Jahre, in welchem die Mission in Pannonien begann, sein Bisthum zur Metropole Baierns erhöht gesehen hatte. Den Markgrafen von Friaul fielen die Halbinsel Istrien und die Kroaten im nördlichen Dalmatien zu. Eine Folge des avarischen Krieges war es auch, daß die slavischen Häuptlinge von Mähren dem Frankenkönige huldigten, daß auch Böhmen durch zwei Feldzüge in den Jahren 805 und 806, von denen den ersteren der jüngere Karl unternahm, wenigstens theilweise zur Unterwerfung genöthigt wurde, doch blieben dies mehr Aufgaben für die Zukunft. Daneben fanden noch einige weitere Kämpfe gegen Sorben und Linonen statt.

Gleichzeitig mit dem avarischen hatte endlich auch der sächsische Krieg in vereinzelten gewaltsamen Zuckungen seinen Abschluß erreicht. Nach gewaltigen Verwüstungen des Landes unterwarfen sich im Sommer 797 in der Landschaft Hadeln an der Elbmündung, von wo nach der Sage des Volkes einst der sächsische Name ausgegangen sein soll, die Sachsen und Friesen abermals dem harten Sieger und stellten die verlangten Geiseln. Ein in dem Herbste desselben Jahres zu Aachen erlassenes Gesetz brachte eine Milderung der bisherigen Strenge, indem es für eine Reihe sonst todeswürdiger Vergehungen die große Bannbuße von 60 Schillingen nach fränkischem Rechte einführte. Auch behielt sich der König vor, sächsische dem Tode verfallene Uebelthäter nur durch Verbannung und Ansiedelung außerhalb Sachsens zu bestrafen. Dennoch war auch jetzt der Widerstand [138] noch keineswegs ganz gebrochen. 797–98 überwinterte ein fränkisches Heer im Sachsenlande mit Herstelle an der Weser als Mittelpunkt, die Nordleute erschlugen im folgenden Frühjahr sogar Königsboten, die unter ihnen Recht sprachen und erlitten durch die mit den Franken verbündeten Abodriten unter ihrem Könige Thrasko eine blutige Niederlage bei Bornhöved. Wie es schon einmal im J. 795 geschehen war, so wurden auch jetzt nicht blos einzelne Geiseln fortgeführt, sondern ein nach Tausenden zählender Theil der Bevölkerung gezwungen sich an anderen Orten des Frankenreiches niederzulassen. Aehnliches wiederholte sich 799 und in dem größten Maßstabe 804, in welchem aus dem Wigmodigau und Nordalbingien ungefähr 10,000 Menschen beiderlei Geschlechts fortgeschleppt wurden. Dies Jahr darf als das letzte des ganzen Krieges betrachtet werden, den man nur aus Mißverständniß durch einen förmlichen Frieden zu Salz hat enden lassen, da den Erhebungen aufsässiger Unterthanen gegenüber von einem Friedensschlusse im eigentlichen Sinne überhaupt nicht die Rede sein konnte.

In die letzten Kriegsjahre fällt auch die Aufzeichnung des sächsischen Volksrechtes, in welchem nur wenige Verfügungen in Betreff der Kirchen und des Christenthums sich vorfinden. Das friesische und das thüringische Volksrecht schlossen sich daran an. Zahlreiche Franken ließen sich jetzt in dem entvölkerten Lande nieder, um die Lücken auszufüllen, die der Krieg gerissen hatte, und wurden mit Grundstücken als Lehen ausgestattet, indem sie so zur Befestigung des Christenthums und der Frankenherrschaft dienten. Nach der vollständigen Unterwerfung (d. h. nicht vor 804) wurde auch der Anfang einer Eintheilung von ganz Sachsen in Bisthümer gemacht, deren noch nicht fest abgegrenzte Sprengel sich meist der älteren politischen Gliederung des Landes anschlossen, doch fehlte es noch sehr an größeren Orten, wie sie zu Bischofssitzen erforderlich waren. Die neugegründeten sächsischen Bisthümer, von denen Münster und Bremen nach Friesland hinüberreichten, wurden unter Köln und Mainz vertheilt, so daß diesem Paderborn und Verden, hernach unter Ludwig dem Frommen Hildesheim und Halberstadt zufielen, jenem dagegen Münster. Minden, Osnabrück, Bremen. Indem dazu noch das friesische Bisthum Utrecht und Lüttich traten, wurde Köln zu einer selbständigen Metropole neben Mainz und Trier erhoben und Karls Erzkaplan Hildebald führt (seit 799 etwa) den Titel eines Erzbischofs. Um die durch Waffengewalt erzwungene Bekehrung der Sachsen erwarben sich nach dem Abte Sturmi von Fulda, aus dessen Kloster die älteste Formel für die Abschwörung des Heidenthums stammt, die größten Verdienste der Northumbrier Willehad, erster Bischof zu Bremen, der Friese Liudger, Bischof von Münster und Stifter des Klosters Werden.

Ebenso wie die Sachsen mußten die Saracenen im nördlichen Spanien allmählich den fränkischen Waffen unterliegen und es wurde wenigstens ein nicht unerheblicher Anfang zur Wiedereroberung der spanischen Halbinsel gemacht. Im J. 785 beugte sich die Stadt Gerona, der andere nachfolgten, der fränkischen Botmäßigkeit, einige Jahre später unternahm der junge König Ludwig einen Zug über die Pyrenäen; 803 fiel nach zweijähriger Belagerung das mächtige Barcellona nebst dem Statthalter Zeid in seine Hände, 811 Tortosa und bis zum Ebro, den die Streifschaaren öfter überschritten, dehnte sich die spanische Mark. Gleichzeitig erweiterte das christliche Königreich Asturien (mit Cantabrien und Gallicien) unter dem tapferen Alonso II., der in Oviedo seinen Sitz hatte, seine Grenzen und erkannte die fränkische Oberhoheit an, wie er denn namentlich im J. 798 Karl Siegeszeichen sandte. Diese Kämpfe gegen die spanischen Mohamedaner gaben, so wenig K. selbst daran Antheil nahm, später Anlaß zu der Sage von seinem Kreuzzuge, die schon am Ende des 10. Jahrhunderts auftaucht.

[139] So glänzend uns alle diese Erwerbungen erscheinen mögen, durch welche nunmehr ein gewaltiger Wille die Lande vom Ebro bis zur Eider, vom Atlantischen Meere bis zur Adria, von der Nordsee bis nach Benevent umspannte, so fehlte es dennoch nicht ganz an schwachen, verwundbaren Stellen und zwar da vorzüglich, wo eine Seemacht sich dem Landheere hätte zugesellen sollen. Ein nicht geringer Theil Italiens blieb stets in den Händen der Griechen, trotz einer blutigen Niederlage derselben im J. 788, und auch den Gehorsam von Benevent machten sie unsicher. Die Eroberung Venedigs durch Pippin im J. 809–810 und der freiwillige Anschluß der dalmatinischen Städte hatte gegenüber der Ueberlegenheit jener zur See keinen Bestand. Schon wagten sich die spanischen Mauren über die Balearen bis nach Corsika, wo der Marschalk Burchard ihnen im J. 807 ein glückliches Treffen lieferte, und nach Sardinien, ja daß sie 813 gleichzeitig Civitavecchia und Nizza heimsuchten, mußte großen Schrecken verbreiten. Aber viel frecher noch war das Auftreten des kleinen Dänenkönigs Godofrid, des Nachfolgers Sigifrids, der, seit der Eroberung Nordalbingiens ein Nachbar der Franken, mit dem von ihm erbauten Danewirk an der Eider seine Grenze gegen sie zu decken suchte. Mit den Wilzen und anderen slavischen Stämmen verbündet, unterwarf er nicht blos 808 einen großen Theil der Abodriten, er unternahm 810 mit 200 Fahrzeugen sogar eine Landung an der friesischen Küste und zwang durch drei siegreiche Gefechte die Friesen ihm Tribut zu zahlen. Bis nach Aachen an den kaiserlichen Hof prahlte er vordringen und mit K. selbst sich messen zu wollen. Als dieser trotz seines Alters eilends über den Rhein bis an den Zusammenfluß von Aller und Weser ihm entgegenzog, fiel Godofrid, von einem seiner Trabanten ermordet und sein Neffe und Nachfolger Hemming machte bald Frieden mit den Franken, der im J. 811 durch je 12 Männer feierlich beschworen wurde. An eine Bekehrung der wilden Nordmänner von Hamburg aus soll bereits K. gedacht haben.

Die Plünderungen, welche die fränkischen Küsten bis hierher schon erfahren hatten, bewogen K. in seinen späteren Jahren zu Maßregeln der Vorkehr. Auf allen größeren Flüssen, die sich in die Nordsee, den Atlantischen Ocean und das Mittelmeer ergossen, sollten Flotten unterhalten werden und namentlich an ihren Mündungen Wachtposten in Verbindung mit den Schiffen Angriffe abwehren. Im Frühjahr 800 besuchte K. selbst die Somme und untere Seine, um den Schiffsbau zu betreiben, 811 begab er sich zu dem nämlichen Zwecke nach Boulogne und Gent, während er seinem Sohne Ludwig gleichzeitig die Fürsorge für Rhone und Garonne übertragen hatte. Daß alle diese Einrichtungen sich bald als ungenügend erweisen würden, um das Reich vor schwerem Schaden durch diese rastlosen, leicht beweglichen Feinde zu bewahren, konnte man damals noch nicht ahnen.

Ungleich besser als zur See deckte das Frankenreich seine Blößen zu Lande durch die Gründung von Marken, welche recht eigentlich erst eine Schöpfung Karls d. Gr. waren. Sie bestanden aus einem vorläufig besetzten Feindeslande, das mit einer oder mehreren Grenzgrafschaften verbunden unter den Befehl eines Markgrafen gestellt wurde. In diesen Bezirken gab es eine Reihe von Burgen, wie z. B. Itzehoe und Büchen oder Halle, mit stehenden Besatzungen aus fränkischen Kriegern, die nur die Wacht gegen den benachbarten Feind zu versehen hatten. Insonderheit lag dem Markgrafen ob die Aufsicht über die zinspflichtigen Völker zu führen und die Grenzen des Reiches zu schützen, aber auch dem Handel Sicherheit zu gewähren. Folgende Marken scheinen in dieser Zeit entstanden zu sein: im Südosten Kärnthen, die pannonische und die Ostmark, der Anfang des späteren Oesterreich, im Osten die böhmische Mark mit dem bairischen Nordgau, im Nordosten die Sorbenmark an der Saale, im Norden die dänische [140] Mark von der Elbe bis zur Eider, im Nordwesten die brittische Mark zum Schutze der Küsten, endlich im Südwesten gegen die Saracenen die spanische Mark. So stießen die Unzufriedenen im fränkischen Reiche, die sich nach auswärtigem Beistande umsahen, jetzt nirgends mehr auf Stamm- oder Glaubensgenossen, in den Marken aber lagen wichtige Keime späterer Bildungen verborgen.

Das Verhältniß des Frankenkönigs zum römischen Papste, welches Pippin eingeleitet hatte, gedieh unter K. zu einem Abschlusse, der in der bisherigen Entwickelung schon längst vorgezeichnet war. Gerade zu Weihnachten des Jahres 795 starb Papst Hadrian, von K. wie ein Blutsfreund innig betrauert und durch eine schöne Grabschrift geehrt; sein Nachfolger Leo III. übersandte sogleich die Schlüssel vom Grabe des heiligen Petrus nebst dem Banner der Stadt Rom an K., gelobte ihm Treue und forderte ihn auf durch Gesandte von den Römern die Huldigung in Empfang zu nehmen. So wurde von dem neuen Papste, der sich wenig sicher fühlen mochte, der König, obgleich nur Patricius, bereits wie der wirkliche Landesherr betrachtet. Mit gutem Grunde, denn schon 799 wurde Leo, als er am 25. April vom Lateran zur Laurentiuskirche ritt, von seinen Feinden unter dem römischen Adel, den Verwandten seines Vorgängers, die eine Reihe, wie es scheint, nicht unbegründeter Anklagen gegen ihn erhoben hatten, auf offener Straße überfallen. Unter argen Mißhandlungen – sogar des Augenlichts und der Zunge suchte man ihn zu berauben – ließ man den Papst halbtodt auf der Straße liegen. Bald darauf gelang es ihm jedoch aus der Stadt zu entkommen und unter dem Schutze des Herzogs Winigis von Spoleto die Reise in das Frankenreich anzutreten, wo man wähnte, daß er nach den ihm zugefügten Verstümmelungen nur durch ein Wunder Gesicht und Sprache wiedererlangt habe. Auf einem sächsischen Zuge begriffen, inmitten seines Heerlagers zu Paderborn, empfing K. den flüchtigen Nachfolger Petri, den er ehrenvoll hierher hatte geleiten lassen. Durch fränkische Große wurde Leo im Herbste desselben Jahres nach Rom zurückgeführt und wieder eingesetzt, über seine Gegner eine Untersuchung verhängt. Ein Jahr später zog der König selbst nach Rom, wo er am 24. November in der Peterskirche seinen Einzug hielt; mit seinen Bischöfen saß er über den Papst zu Gericht, dessen Feinde ihre Anschuldigungen nicht beweisen konnten. Durch einen freiwilligen Reinigungseid widerlegte dieselben darauf Leo, die Häupter der Gegenpartei aber später zum Tode verurtheilt, wurden auf des Papstes Fürbitte nur verbannt.

Als K. inzwischen am Weihnachtsfeste im Gewande des römischen Patricius die Peterskirche zur Meßfeier besuchte und sich betend vor dem Altare neigte, setzte ihm Leo III. eine goldene Krone auf das Haupt und salbte ihn, während die Kirche von dem jubelnden Zurufe der zahlreichen Menge wiederhallte: „Heil und Segen dem von Gott gekrönten, großen und friedfertigen Kaiser der Römer Karolus Augustus“. Der Papst warf sich dem neuen Kaiser zu Füßen, um ihm zu huldigen, wie seine Vorgänger einst den oströmischen Herrschern zu Konstantinopel huldigten. Durch die Art der Ausführung wurde K. überrascht und befremdet, vielleicht weil er nicht aus päpstlicher Hand die Krone empfangen, sondern sie selbst ergreifen wollte, die Sache selbst mußte längst vorbereitet sein, ja sie war wahrscheinlich auf einer Versammlung der fränkischen Großen in Rom ausdrücklich beschlossen worden.

Nicht blos um eine Herstellung des gesonderten weströmischen Kaiserthums handelte es sich, die Kaiserkrone sollte überhaupt wieder für Rom gewonnen werden, weil in Konstantinopel ein Weib, Irene, nach Verdrängung ihres Sohnes unwürdig den kaiserlichen Namen führte. Die Rücksicht auf die von dort zu erwartenden Schwierigkeiten mochte Karls Bedenken erregt haben: der abenteuerliche Plan einer Vermählung zwischen ihm und Irene tauchte auf, erwies sich [141] aber als unausführbar. Die Kaiserin wurde bald darauf durch eine Verschwörung gestürzt, die dem Schatzmeister Nicephorus den Thron gewährte. Eifrig bemühte sich K. nun um die formelle Anerkennung des griechischen Hofes, von dem er brüderliche Gleichberechtigung heischte. Krieg und Unterhandlungen wechselten zu diesem Zwecke, K. scheute sich nicht den hochmüthigen Griechen 812 das schwere Opfer zu bringen, daß er ihnen Venedig und die dalmatinischen Städte zurückgab, auf denen ihre Herrschaft in der Adria ruhte, nur um des ersehnten Titels Basileus theilhaftig zu werden, wie er auch auf weitere Eroberungen im Süden verzichtete. Die urkundliche Anerkennung des westlichen Imperiums von dieser Seite erlebte erst sein Sohn.

Gleichzeitig mit diesen Berührungen, die stets von gegenseitigem Mißtrauen und nationaler Abneigung Kunde gaben, entwickelten sich freundlichere mit dem östlichen Nachbar des Griechenreiches, dem bis nach Indien gebietenden Chalifen Harun Arraschid in Bagdad, mit dessen Glaubensgenossen man in Spanien fortwährend zu thun hatte. Seit dem Jahre 797, in welches die erste fränkische Gesandtschaft nach dem Morgenlande fällt, wechselten mehrere Sendungen, die unter anderen kostbaren Geschenken 801 dem Kaiser einen Elephanten, 807 ein Luftgezelt, Räucherwerk und eine kunstvolle Uhr überbrachten, während von der anderen Seite Jagdhunde am höchsten geschätzt wurden. Aber nicht blos jene Gaben widmete Harun dem mächtigen Frankenherrscher, dessen Freundschaft er der aller anderen Fürsten vorgezogen haben soll, sondern er übertrug ihm sogar das Eigenthum an den heiligen Stätten zu Jerusalem, dessen Patriarchen ebenfalls mit dem Kaiser in Verkehr getreten waren und von ihm, dem sie den Schlüssel zum heiligen Grabe anvertraut hatten, mit Almosen unterstützt wurden. Auch von Ibrahim, der im heutigen Tunis regierte, empfing im J. 801 K. Geschenke, darunter einen afrikanischen Löwen.

Von den Herrschern der brittischen Inselreiche, deren Unterthanen in großer Zahl nach dem Festlande zu pilgern pflegten, bewiesen die kleinen irischen Könige K. die größte Ergebenheit und ehrten ihn wie ihren Oberherrn, mit den englischen stand er, abgesehen von einer vorübergehenden Spannung mit Offa von Mercien, auf freundschaftlichem Fuße und in regen einflußreichen Beziehungen, wie denn unter Anderem im J. 808 der vertriebene König Eardulf von Northumbrien zu ihm seine Zuflucht nahm und durch seine und des Papstes Unterstützung in sein Reich zurückkehrte. Auch Ecgbert von Wessex soll sich längere Zeit bei ihm aufgehalten haben.

Die außerordentliche Machtstellung, welche K. einnahm, erhellt nicht blos aus den glänzenden Erfolgen, die seine Waffen nach außen davontrugen, sondern vor Allem auch daraus, daß innere Empörungen, wie sie unter seinen Vorgängern und Nachfolgern so überaus häufig waren, unter ihm fast gänzlich fehlten. Daß er den trotzigen Sinn der Franken und der übrigen Deutschen unter seinen Willen gebeugt, bewunderte sein Enkel Nithard an ihm am allermeisten. Die Verschwörung des thüringischen Grafen Hardrat, der mit anderen ostfränkischen Grafen den König gefangen nehmen und ermorden wollte, um sodann das fränkische Joch abzuschütteln, wurde rasch entdeckt und auf einem Wormser Reichstag des Jahres 786 traf, nachdem nur drei der Theilnehmer mit den Waffen gefallen waren, die übrigen Verbannung, zum Theil durch Blendung verschärft. Ein zweiter Anschlag ähnlicher Art ging im Sommer 792 von Pippin dem Buckligen, Karls ältestem unehelichen Sohne, aus, der sich in Regensburg mit einigen vornehmen Franken zu seinem und seiner Söhne Sturze verbunden hatte. Während die Genossen der Todesstrafe verfielen, theils durch das Schwert, theils durch den Galgen, durfte Pippin, zum Mönche geschoren, in dem Kloster Prüm den Rest seines Lebens vertrauern, Fardulf aber, ein verbannter Langobarde, [142] der den Plan der Verschwörer belauscht und enthüllt hatte, wurde zum Danke mit der Abtei St. Denis belohnt. Von diesen beiden Mordanschlägen heißt es, daß dazu Karls zweite Gemahlin Fastrada, die Tochter des ostfränkischen Grafen Radulf, den Anlaß gegeben hätte, indem sie durch ihre Grausamkeit auch den König zu ungewohnter Härte getrieben habe.

Wenden wir uns näher den inneren Verhältnissen zu, so blieb Karls Reich und Königthum, auch nachdem es durch die Kaiserkrone eine höhere Weihe empfangen, wesentlich ein fränkisches. Fränkische Grafen geboten in Italien, Aquitanien, Sachsen und wurden mit großen Lehen in den eroberten Landen ausgestattet, während viele Sachsen und Langobarden in die Verbannung gehen mußten, Franken bildeten überall die zuverlässigsten Stützen seiner Herrschaft. Im fränkischen Lande weilte daher auch der König am liebsten, wenn nicht Feldzüge ihn in andere Gegenden führten. Hatte aber sein Vater Pippin, hierin dem Beispiele der Merowinger folgend, sich am meisten in den Pfalzen des mehr romanischen Neustriens aufgehalten, so bevorzugte K. sichtlich Rheinfranken, die Wiege seines Geschlechtes. Nicht St. Denis, wo seine Eltern ruhten, sondern die Arnulfskirche zu Metz, wo er die Königin Hildegard beisetzen ließ, wollte er zur Grabstätte seines Hauses bestimmen. Nicht selten hielt er Hof zu Herstal an der Maas, zu Diedenhofen und Worms, gern verweilte er in den von ihm erbauten Pfalzen zu Ingelheim und Nimwegen, aber sein Lieblingssitz vor Allem wurde Aachen mit seinen warmen Bädern und den wildreichen Hagen ringsum. In dieser Stadt, die man wol als den Mittelpunkt seines Reiches betrachten darf, verlebte er seit 795 meist die Wintermonate, feierte er Weihnachten und Ostern. Hier erhob sich die vielbewunderte Marienkirche, ein Rundbau nach dem Muster von S. Vitale in Ravenna, mit antiken Marmorsäulen aus Rom und Ravenna geziert, hier im unmittelbaren Anschlusse daran, durch einen Säulengang mit ihr verbunden, die kaiserliche Pfalz mit einem ehernen Adler auf ihrem First, vor welcher auf freiem Platze das aus Ravenna entführte Reiterstandbild des großen Ostgothenkönigs Dietrich von Bern prangte.

Dem fränkischen Herkommen entsprach die für uns befremdliche Thatsache, daß K. das gewaltige Reich, wie er es einst mit seinem Bruder getheilt hatte, so auch wieder unter seine drei Söhne ehelicher Abkunft theilen wollte. Die Uebertragung von Unterkönigreichen an Pippin und Ludwig, die jüngeren Söhne, sollte diese früh in ihren künftigen Herrschaften heimisch, ihren Unterthanen vertraut machen, aber auch Karl, der älteste, dem der Vater 790 die Grafschaft Maine übertrug, war 800 schon gekrönt worden. Die im J. 806 für die Zukunft festgestellte Reichstheilung, welche drei von einander unabhängige, nur auf gegenseitigen Beistand angewiesene Mächte geschaffen haben würde, wurde durch den frühen Tod Pippins und Karls in den Jahren 810 und 811 hinfällig, doch ließ der Kaiser jenem 812 seinen einzigen Sohn Bernhard als König von Italien folgen. Nicht Karls Wille, sondern eine höhere Fügung bewirkte daher, daß sein jüngster und untüchtigster Sohn Ludwig das Reich ungetheilt erben konnte; indem er diesen schon 813 aus eigener Machtvollkommenheit zum Kaiser machte, bewies er dadurch, daß die Kaiserwürde ohne besondere päpstliche Verleihung ganz gleich der Königswürde sich vererben sollte, denn Ludwig mußte selbst die Krone vom Altare nehmen.

Die Verwaltung des Reiches blieb, nachdem K. auch die bairischen Herzoge beseitigt hatte, ohne weitere Zwischenstufen überall wie seit Alters den Grafen als Gauvorstehern anvertraut. Allzu mächtig aber war ihre Stellung als die königlicher Statthalter und groß die Versuchung, ärmere Freie durch rücksichtslose Handhabung der Gerichtstage, des Aufgebotes zum Kriege und anderer öffentlicher Lasten von ihrem Eigen zu verdrängen und in Abhängigkeit zu bringen. Eine Erleichterung der Gemeinfreien lag darin, daß (seit etwa 770 [143] bis 780) zu den gebotenen, d. h. außerordentlichen Gerichten nicht mehr die ganze Gemeinde berufen wurde, sondern nur die aus ihr bestellten Schöffen, je sieben rechtskundige Männer, die das Urtheil zu finden hatten. Anders in den echten (ungebotenen) Dingen, zu welchen seit K. die Gemeinde dreimal alljährlich unbewaffnet und unter Obdach zusammentreten sollte. Eine überaus drückende Last war die allgemeine Wehrpflicht, zumal bei der erweiterten Ausdehnung des Reiches; denn jeder Freie mußte sich auf ein halbes Jahr im Felde selbst ausrüsten und bekleiden und auf drei Monate sich verköstigen. Bei Angriffskriegen wurde daher statt des allgemeinen Aufgebotes mehrfach ein näherer wechselnder Maßstab nach dem Vermögen angelegt und bei entfernteren Kriegsschauplätzen nur ein Theil der Pflichtigen ausgehoben.

Neben der Ueberwachung, welche die Bischöfe über die hohen weltlichen Beamten üben sollten, schuf K. noch zur Vertretung seiner Person ein besonderes Organ in den sogen. Königsboten oder königlichen Gewaltboten, die früher mehr vereinzelt auftretend seit dem J. 802 zu einer regelmäßigen Einrichtung werden. Theils aus Bischöfen und Aebten, theils aus Grafen oder Hofbeamten hervorgehend, bereisten diese als Stellvertreter des Kaisers zu je zwei alle Gaue des in bestimmte Sprengel getheilten Reiches, sie beriefen Land- und Gerichtstage, verwalteten die königlichen Güter und nahmen die Klagen des Volkes selbst entgegen, um allem Unrecht zu steuern, den Kirchen und Armen, den Wittwen und Waisen nach Gottes Willen recht zu schaffen. Auf dem Reichstage erstatteten sie dann den Bericht über ihre Wirksamkeit und brachten an den Kaiser, was sie selbst nicht hatten schlichten können. Nicht mit Unrecht lebte der Name Karls als eines Schützers der Gerechtigkeit fast sprichwörtlich bei der Nachwelt fort, dennoch kehren schon unter ihm die Klagen über die Bestechlichkeit der Richter und das Uebergewicht der Mächtigen nur zu oft wieder.

Auf den Reichstagen, von denen die größeren als sogen. Maifeld verbunden mit der Heerschau im Anfange des Sommers stattfanden, übten die Großen geistlichen und weltlichen Standes einen starken Einfluß. Von diesen Versammlungen ging eine der glänzendsten Seiten von Karls Thätigkeit, die gesetzgeberische, aus, welche bei weitem reicher als in den Kriegsjahren in dem letzten friedlichen Abschnitte seines Lebens hervortritt, da die Kaiserwürde neue und höhere Aufgaben stellte. Den einzelnen Volksrechten gegenüber, die für alle Angehörigen eines Stammes in jedem Theile des Reiches persönliche Geltung behaupteten, entwickelte sich in den königlichen Capitularien ein für alle Lande giltiges Reichsrecht. Karls Gesetzgebung, die über das geistliche wie das weltliche Gebiet sich gleichmäßig erstreckte, schloß sich mit Schonung überall an das Bestehende an; sie behielt die Gottesurtheile für das geistliche Gerichtsverfahren bei und wagte selbst das Fehderecht nicht ohne Weiteres zu beseitigen. Zu ihren wichtigsten Zielpunkten gehörte der Schutz des gemeinen Mannes gegen die schon erwähnten Bedrückungen und scharfe Ueberwachung des Lehnswesens, aus welchem sich allzu leicht ein der Krone gefährlicher Dienstadel entwickeln konnte. Jeder Lehnseid sollte die Verpflichtung zu besonderer Treue gegen den König als obersten Lehnsherrn in sich schließen, jeder Inhaber eines Lehen auch zum königlichen Heerdienste verbunden sein. Im Uebrigen wurden wiederholt (786, 802, 806, 812) sämmtliche Unterthanen durch einen Treueid gebunden, auch in Bezug auf die Bestimmungen über die Nachfolge.

Von großer Bedeutung ist unter Karls Anordnungen die vom J. 812 über die Bewirthschaftung der Krongüter durch die königlichen Amtleute und deren Untergebene, welche sich so sehr auf das Einzelne erstreckt, daß selbst der Hausrath der herrschaftlichen Wohnungen, der Bestand an Geflügel auf den Höfen, die Obstarten, Küchengewächse und Blumen des Gartens aufgezählt, die Arbeiten [144] der hörigen Frauen und die erforderlichen Handwerker bestimmt werden. Ueber alle diese Dinge, ferner über die Vertheilung der Erträge, je nachdem sie dem Bedarfe des Hofes oder der Gutsverwaltung dienten, oder zu anderweitiger Verwendung übrig blieben, verlangte der Kaiser eine genaue Buchführung und Rechnungslegung. Wenn er auch hierin seiner Zeit vorausschreitend kaum nachgeahmt wurde, so gab er im Uebrigen durch seine wirthschaftlichen Einrichtungen doch ein vielfach wiederkehrendes Muster für die großen Grundherrschaften, namentlich die Abteien. Auch eine vollständige Verzeichnung aller dieser unter seiner Regierung ansehnlich vermehrten Krongüter wurde angeordnet, deren Ertrag für den Unterhalt des Hofes und Staates unentbehrlich war, da zwar mannigfache Naturalleistungen, aber allgemeine Steuern in unserem Sinne nicht erhoben wurden und die Jahresgeschenke der vornehmen Franken an den König für diese nur einen dürftigen Ersatz gewährten. Durch Begünstigung der Waldrodungen, durch Kolonien in den neugewonnenen Grenzlanden suchte K. Anbau und Bevölkerung des Landes zu heben. Nur angedeutet sei hier, daß er ein gleiches Normalgewicht einführte, streng auf die Ausprägung vollwichtiger Münze hielt und deshalb die Zahl der Münzstätten verminderte. Die Silberwährung wurde zu alleiniger Geltung eingeführt. Nur die üblichen Zölle sollten an Flußübergängen auf Brücken oder zu Schiffe erhoben werden. Handelsleute wurden unter den besonderen Schutz des Königs gestellt. Die Erweiterung des Reiches rief nach allen Seiten hin einen regeren Verkehr hervor und namentlich an den königlichen Pfalzen als Mittelpunkten der Verwaltung entwickelte sich ein lebhafter Markt.

Als Regent wie als Gesetzgeber trat K., schon bevor er die Kaiserkrone empfangen hatte, im vollen Einvernehmen mit dem römischen Bischofe an die Spitze auch der kirchlichen Angelegenheiten seines Reiches und er vorzüglich förderte jene Vermischung von Staat und Kirche, die sich in dem heiligen römischen Reiche deutscher Nation fortgesetzt hat. Dem Kaiser lag die Pflicht ob, der Kirche nach außen Schutz zu verleihen gegen alle feindlichen Angriffe und sie nach innen im Bekenntnisse des katholischen Glaubens zu bewahren, der Papst in seiner rein priesterlichen Stellung sollte nur über die geistliche Seite der Kirche durch Aufrechterhaltung ihrer Satzungen wachen und durch sein Gebet die Waffen des Kaisers unterstützen. Ein Concil zu Mainz nannte im J. 813 in einem amtlichen Schreiben K. geradezu den frommen Regenten der heiligen Kirche. Der König verfügte durchaus nach eigenem Ermessen über die Besetzung aller Bisthümer und Abteien. Die Begründung der sächsischen Kirche, die Eintheilung ihrer Sprengel ging ohne alles Zuthun von Rom lediglich von ihm aus. Er berief die Synoden – fünf gleichzeitig für verschiedene Reichstheile noch 813 – und legte ihnen Gegenstände zur Berathung vor, ihre Beschlüsse wurden von ihm bestätigt. Die unter Beistimmung päpstlicher Legaten auf der großen Kirchenversammlung zu Nicäa (787) zu Gunsten der Bilderverehrung gefaßten Schlüsse ließ K. auf der Reichsversammlung zu Frankfurt – der ersten an diesem Orte – 794 von der Geistlichkeit seines Reiches und Brittaniens als ketzerisch verdammen, das nicänische Concil für ungiltig erklären. In den unter seinem Namen schon vorher von Alkuin verfaßten karolinischen Büchern wurde diese Auffassung in heftiger Sprache dogmatisch begründet, ja es wurde dem Papste sogar zugemuthet die griechische Kaiserin mit ihrem Sohne und ihren Geistlichen zu bannen, ohne daß er geradezu zu widersprechen wagte.

Wenn hier politische Nebenabsichten mitwirkten, um Karls kirchlichen Eifer zu befeuern, so gilt dies nicht von seinem Kampfe gegen die an den alten Arrianismus erinnernde adoptianische Ketzerei in Spanien, die von dem Erzbischofe Elipantus von Toledo ausgehend, vorzüglich durch den Beitritt des sehr [145] geachteten Bischofs Felix von Urgel in der spanischen Mark größere Verbreitung erlangte. Nach ihrer Ansicht sollte Christus als Mensch nur Adoptivsohn Gottes sein. In Regensburg und zu Rom sowie abermals auf der Frankfurter Versammlung im J. 794 verdammt, wurde der Bischof Felix endlich auf einer Aachener Synode 799 durch eine Disputation mit Alkuin persönlich zum Widerrufe gedrängt und fortan, um einen Rückfall zu verhüten, zu Lyon in Gefangenschaft gehalten, der Adoptianismus aber durch eine Mission ausgerottet. Während K. hier im vollen Einvernehmen mit den Päpsten handelte, ließ er durch die Aachener Synode im November 809 die Lehre vom Ausgehen des heil. Geistes vom Vater und vom Sohne im Gegensatze zu den Griechen genehmigen und einen entsprechenden Zusatz in das Glaubenssymbol einschalten. Zwar jene Lehre, nicht aber diese Einschaltung wurde von Leo III. gebilligt, dennoch beides von der fränkischen Kirche festgehalten. Die Befestigung der hierarchischen Ordnung, wie namentlich Bonifatius sie einst begründet hatte, wurde von K. erst wahrhaft vollendet durch die Annahme des damals bestehenden kanonischen Rechts zu voller Geltung im fränkischen Reiche: das von Dionysius dem Kleinen angelegte Rechtsbuch hatte schon 774 Hadrian dem Könige überreicht.

Weitergehend in seinen Entwürfen für die Kirche, deren Anspruch auf den Zehnten des Einkommens aller Gläubigen er zum Staatsgesetze erhob, brauchte K. sich nicht mehr blos mit Herstellung der Kirchenzucht zu beschäftigen, wie es einst Pippin und Karlmann gethan hatten, sondern er konnte auch an die Ausbildung der Geistlichkeit zu wissenschaftlichen Kenntnissen denken. Dieses Ziel verfolgte er vorzüglich seit dem Jahre 782, in welchem er die Ueberlegenheit der Italiener in geistiger Bildung kennen gelernt hatte, durch seine Gesetzgebung mit größtem Eifer. Im J. 789 namentlich befahl er, daß in allen Bischofssitzen und Klöstern des Reiches Schulen für Knaben errichtet würden, in denen sie die Anfangsgründe des Wissens lernen sollten, daß aber Abschriften der heiligen Bücher nur von gelernten Schreibern gemacht werden dürften. Wenn hierbei jedenfalls an Ausbildung für den geistlichen Stand zu denken ist, so fordert dagegen ein späteres Gesetz von 802 ganz allgemein, daß jeder zur Erlernung des Lesens seine Söhne in die Schule schicken solle.

An seinem Hofe versammelte K. eine Anzahl der gelehrtesten Männer aus allen Theilen des Frankenreiches, wie aus der Fremde, aus Italien, England und Irland als Lehrer. Sie bildeten die Hofschule, in welcher der König und seine Familie und mit ihnen so manche begabte Söhne vornehmer Geschlechter selbst Schüler wurden, um sich in den sieben freien Künsten unterweisen zu lassen. Italienische Grammatiker eröffneten diesen Unterricht, Petrus von Pisa und Paulinus, der spätere Patriarch von Aquileja, neben ihnen der verbannte Paulus Diakonus, einst ein politischer Gegner, den Karls Größe und Großmuth zur Liebe und Bewunderung für ihn fortriß. Weitaus die größte Wirksamkeit entwickelte hier der Northumbrier Alkuin oder Albinus, seit 782 im fränkischen Reiche, das er vorübergehend noch einmal (789–793) verließ, um sodann als Abt des Martinsklosters von Tours (seit 796) sein Leben daselbst im J. 804 zu beschließen. Neben ihm ist sodann noch der Gothe Theodulf aus Spanien, Bischof von Orleans, zu nennen und der Ire Dungal, der in dem Kloster St. Denis lebte. Ein zwangloser Verkehr herrschte zwischen diesen Männern und dem Königshause, dadurch erleichtert und gewürzt, daß sich die Mitglieder der Hofschule traulich mit Beinamen klassischen oder biblischen Ursprunges zu nennen pflegten. So hieß K. in ihrem Munde gewöhnlich David, bisweilen Salomo, Alkuin Flaccus, Rikulf von Mainz Damontas, Angilbert Homer, Einhard Beseleel etc. Diese beiden, des Königs Lieblinge, jener als Staatsmann, der andere als Künstler namhaft, gehörten zu den Zöglingen der Hofschule aus dem Laienstande.

[146] Diese ganze Bildung, die nach Karls Meinung keineswegs blos für Geistliche, sondern auch für Laien bestimmt war, hatte ein vorwiegend theologisches Gepräge, denn in die Geheimnisse der heiligen Schrift einzudringen erschien doch als ihr Zielpunkt. Die grammatischen Studien bildeten dazu die Vorstufe. Sehr eifrig wurde jedoch auch die lateinische Kunstdichtung gepflegt: poetische Scherze, namentlich Räthselfragen, machten viel Glück bei Hofe. Schon Paulus und Petrus versuchten sich in solchen Wettkämpfen, dieser im Namen des Königs, Alkuin hatte von Vergilius, den er später als Heiden verachtete, genug gelernt, um als Dichter zu glänzen, Theodulf, der gewandteste unter diesen Versemachern, nahm sogar den leichtfertigen Ovid in Schutz und zum Vorbilde, jüngere wie Moduin (Naso), der spätere Bischof von Autun, eiferten ihnen mit Erfolg nach. Auf die Verbesserung der in den Zeiten der Merowinger arg verwilderten lateinischen Sprache, auf Genauigkeit der Abschriften, zumal in der Rechtschreibung, wurde besonderer Eifer gerichtet, eine neue Blüthe der Geschichtschreibung ging daraus hervor und die Abfassung von Briefen und Urkunden wurde nach reineren Mustern verbessert, doch erst unter Ludwig gründlich umgestaltet. Einen sehr lebhaften Antheil gewannen neben der Rechenkunst dem Könige namentlich astronomische Berechnungen ab, über welche er wol Alkuin oder den Iren Dungal zu Rathe zog. Ueber dogmatische Streitfragen, wie die oben schon berührten, arbeiteten in seinem Auftrag Alkuin, Theodulf, Paulinus und andere gelehrte Männer, die Verbesserung des biblischen Textes beschäftigte ihn bis in die letzten Tage seines Lebens. Von den Kirchenvätern liebte er besonders den heil. Augustinus. Die Klosterschule zu Tours unter Alkuin’s Leitung, die zu Fulda unter der seines Schülers Hraban und bald auch Reichenau u. A. breiteten das Licht der Wissenschaft weiter über alle Reichstheile aus.

Von den zahlreichen Gesetzen Karls, die sich auf das kirchliche Leben beziehen und sich zumeist auf den gegebenen Grundlagen bewegen, ist noch hervorzuheben, daß nach dem umfassenden Rundschreiben vom J. 789, in welchem er den eifrigen jüdischen König Josias als sein Vorbild hinstellte, der römische Kirchengesang, wie es schon König Pippin gewollt hatte, statt des gallikanischen eingeführt werden sollte. Aus Rom erhielt K. zu diesem Zwecke Sangmeister, und Metz zumal wurde die hohe Schule des Gregorianischen Kirchengesanges.

Als seine wichtigste Aufgabe betrachtete es der König, und in gesteigertem Maße der Kaiser, in seinem Reiche das Bild eines christlichen Staates nach allen Seiten hin zu verwirklichen. So enthielt der Huldigungseid, welchen die Königsboten im J. 802 sämmtlichen Unterthanen vom 12. Lebensjahre an von Neuem abnehmen mußten, höhere und größere Pflichten als die bisher geleisteten Schwüre, begründet auf christliche Ermahnungen. Eine allgemeine Untersuchung des Bildungsstandes der Geistlichen und Laien durch das ganze Reich schloß sich an eine Versammlung hervorragender Würdenträger schon im November 801 an. War früher nur den Priestern auferlegt worden, sich über ihre Bekanntschaft mit den kirchlichen Formeln auszuweisen, zu deren voller Heilskraft die lateinische Sprache für unerläßlich galt, so wurde seit dem J. 801 jedes christliche Gemeindeglied zum Auswendiglernen des Vaterunsers und des Glaubens sogar zwangsweise angehalten und nur unter dieser Voraussetzung als Taufpathe zugelassen. Mit noch größerer Strenge wurden später die, welche dieser Forderung nicht genügten, mit Schlägen und Hunger bedroht, aber die Forderung blieb undurchführbar.

Die Muttersprache behauptete ihr Recht fast nur in der Beichte, für welche deutsche Muster schriftlich aufgezeichnet wurden. Für die Predigt ließ K. eine Mustersammlung älterer lateinischer Homilien durch Paulus Diakonus zusammenstellen. Nach den Beschlüssen der zu Reims, Mainz und Tours versammelten Synoden von 813 sollten die Bischöfe allsonntäglich durch verdeutschte Predigten [147] oder durch solche in der romanischen Sprache das Volk erbauen. Die Uebersetzung des Katechismus und anderer Glaubensstücke in die deutsche Zunge, sowie des Evangeliums Matthäi, schüchterne und zum Theil stümperhafte Versuche, gehen mittelbar wenigstens auf die von K. gegebenen Anregungen zurück. Seine Liebe für die Muttersprache, ein seltenes Lob für einen Deutschen, bewies er nicht blos durch Uebertragung der Wind- und Monatsnamen in dieselbe, er machte auch den Versuch eine deutsche Sprachlehre zu entwerfen und ließ die alten Heldenlieder, die von den Thaten halbgöttlicher Ahnen handelten, niederschreiben, doch schon sein mönchischer Sohn Ludwig betrachtete diesen kostbaren Schatz mit Widerwillen.

Von den Bauwerken Karls ließ sein Nachahmer Friedrich I. nach manchen Zerstörungen die Pfalzen zu Nimwegen und Ingelheim wiederherstellen. Die letztere nebst der dazu gehörigen Kirche war mit Wandgemälden verziert, von denen die einen die Geschichte des alten und neuen Bundes, die anderen die weltliche Geschichte von Ninus und Cyrus bis auf den Helden K. herab darstellten. Ein vielbewundertes Vorbild bot die Aachener Marienkirche, das Werk des Meisters Odo; nach ihrem Muster baute Theodulf eine Kirche zu Germigny, Ludwig der Fromme zu Diedenhofen, Karl der Kahle zu Compiègne. In St. Denis ließ der Abt Fardulf für den König eine Pfalz erbauen, die mit den Bildern der sieben freien Künste geschmückt war. Klöster nach dem Beispiele seiner Eltern, denen Prüm den Ursprung verdankte, wurden von K. nicht gestiftet, aber viele verfallene Kirchen wiederhergestellt. Zu seinen großartigsten Bauten gehörte eine feste Brücke über den Rhein von 500 Schritt Länge bei Mainz, die nach zehnjähriger Arbeit vollendet in einer einzigen Mainacht des Jahres 813 abbrannte, der unter dem Wasser befindliche Theil ihrer gewaltigen Eichenpfeiler hat bis zum J. 1881 der Vergänglichkeit getrotzt. Ein bewundernswerther Gedanke war es, Altmühl und Regnitz, und dadurch Rhein und Donau mittelst eines schiffbaren Kanales zu verbinden, aber das im J. 793 begonnene, durch Regengüsse und Dammbruch gehemmte Werk gelangte nicht zur Vollendung.

In dem Hause der Merowinger hatte neben anderen wilden Trieben einst ungezügelte Sinnlichkeit ihr Recht behauptet und sie zu Grunde gerichtet; von diesem verderblichen Hange blieben ihre Nachfolger keineswegs ganz frei und K. selbst, der nach jenen seine Zwillingssöhne Lothar und Ludwig nannte, gab hierin kein gutes Beispiel. Nach seiner frühen Verbindung mit Himiltrud, deren Frucht später die Hand gegen den eigenen Vater erhob und nach der ganz unrechtmäßigen Verstoßung der langobardischen Königstochter lebte er in glücklicher Ehe mit Hildegard, die ihm vier Söhne und sechs Töchter gebar, dann 783 erst 26 Jahre alt dahinstarb. Noch in ihrem Todesjahre heirathete er die böse Fastrada, die als Mutter von zwei Töchtern schon 794 ihr Leben endete und zu Mainz begraben wurde. Von seiner vierten Gemahlin, der Schwäbin Liudgard, einer großen Gönnerin der Hofgelehrten, die bereits nach etwa vierjähriger Ehe im J. 800 starb, wurden ihm keine Kinder geboren. Wie ihm schon früher in der Zeit Fastrada’s eine Nebenfrau noch eine Tochter geboren hatte, so hatte er nach Liutgard’s Tode noch vier Kebsweiber, darunter eine Sächsin Gerswinda, die ihn noch mit zwei Töchtern und drei Söhnen beschenkten, von denen der jüngste, Theoderich, 807 geboren wurde. Von diesen 18 Kindern starben drei ganz jung, die anderen wuchsen empor. Wenn auch Niemand gegen den mächtigen Kaiser ein Wort des Tadels deshalb laut werden zu lassen wagte, so fürchteten, wie uns später das Gesicht des Mönches Wettin zeigt, fromm gesinnte Männer doch, daß diese Ausschweifungen im Jenseits nicht ungestraft bleiben könnten.

Eine innige Liebe für die Familie wird K. nachgerühmt, mit großer Ehrerbietung begegnete er seiner Mutter bis an ihr Ende, mit Zärtlichkeit seiner [148] Schwester Gisla, der Aebtissin von Chelles, nur den einzigen Bruder hatte er gehaßt. Vortrefflich sorgte er für die Erziehung aller seiner Kinder: mit willigem Verständniß nahmen sie an den Studien Theil, denen der Vater so eifrig oblag. Während die Söhne dann den Körper für Jagd und Krieg stählen und üben mußten, lernten die Töchter mit Spindel und Nadel umgehen, aber das edle Waidwerk blieb auch ihnen keineswegs fremd und sie wußten ihre Rosse wohl zu tummeln. Frühzeitig mußten die Söhne in den Krieg selbst ziehen und fast noch Knaben die Waffen im Ernste führen. Mit den jüngeren Kindern des Kaisers wurden nach dem frühen Tode des Königs Pippin von Italien dessen Hinterbliebene erzogen.

K. liebte seine Kinder so zärtlich, daß er zu Hause nur in ihrer Gesellschaft speisen wollte und auf der Reise sowol Söhne wie Töchter ihn zu Rosse begleiten mußten. Trotz ihrer von den Hofdichtern vielgepriesenen Schönheit aber blieben nach seinem Willen die Töchter sämmtlich unvermählt, da er keine von ihnen missen mochte. Die Verlobung Hrotrud’s mit dem griechischen Kaiser Constantin wurde allerdings ohne seine Schuld rückgängig gemacht, aber Bertha’s Hand verweigerte er dem Könige Offa von Mercien, der sie für seinen Sohn begehrte. Diese, vielleicht doch auch durch politische Rücksichten beeinflußte selbstsüchtige Liebe trug üble Früchte, denn an die Stelle öffentlicher und ehrenvoller Verbindungen traten heimliche und ungeregelte, die K. zuließ, weil die Natur ihre Rechte forderte. So gebar jene Hrotrud dem Grafen Rorico von Maine einen Sohn Ludwig, nachmals Abt von St. Denis, und Bertha schloß einen Herzensbund mit Angilbert, dem sie zwei Söhne schenkte. Einhard dagegen ist nur durch eine anmuthige Sage zum Schwiegersohne Karls gemacht worden. Wenn nur einer Nichte des Kaisers, Gundrada, nachgerühmt wird, daß sie allein unter den Jungfrauen am Hofe allen Versuchungen widerstanden habe, so beweist dies, wie großes Aergerniß die übrigen gaben, das Ludwig bei seinem Regierungsantritte sofort abzustellen suchte. Von den kaiserlichen Töchtern kennen wir sonst Theodrada als Aebtissin von Argenteuil, Ruothilde als Aebtissin von Fara; von den unehelichen Söhnen spielte Drogo als Bischof von Metz nachmals eine große Rolle, Hugo als Abt von St. Quentin, Lobbes und St. Bertin. Der Tod der beiden älteren Söhne sowie seiner Tochter Hrotrud († 810) entlockte dem greisen Vater heiße Thränen.

K. besaß ein offenes Herz für Freundschaft und beharrende Treue. Zu seinen Vertrautesten gehörte ohne Zweifel Angilbert, der die reiche Abtei St. Riquier als Pfründe erhielt, ohne deshalb der Welt zu entsagen. Seine wiederholten Sendungen an den Papst zeigen ihn uns eingeweiht in des Königs geheimste Pläne. Einhard tritt mehr in Karls späteren Lebensjahren, sowie unter seinem Nachfolger hervor und stand dem Alter nach wol den Söhnen näher als dem Vater. Arn, ein geborener Baier, aber stark verwickelt in den Untergang der bairischen Selbständigkeit, Abt von St. Amand und Erzbischof von Salzburg, wirkte fast mehr in politischen als kirchlichen Geschäften. Wer möchte bezweifeln, daß Alkuin, dem ein freies Wort vollkommen gestattet war, nicht durch wahre Freundschaft mit seinem königlichen Schüler verbunden gewesen wäre? Von den Hofbeamten standen Angilram von Metz, der Erzkaplan und nach dessen Tode sein Nachfolger Hildibald von Köln dem Könige besonders nahe, nicht minder gewiß der Kämmerer Meginfrid, der Seneschalk Audulf, der Notar Erchambold, Gerold, der Bruder der Königin Hildegard etc. gegen Fremde übte K. eine großartige Gastfreundschaft, so daß sie durch ihre Menge für Land und Pfalz oft zur wahren Last zu werden drohten. Die zahlreichen Angeln und Schotten namentlich, reiselustige Pilger, wurden von den Franken bisweilen mit Mißgunst betrachtet und zumal die letzteren stießen durch manche Absonderlichkeiten an.

Der König war von kräftigem und breitem Körperbau, so groß, daß er [149] sieben seiner eigenen Füße maß, von rundlichem Kopfe, sehr großen und blitzenden Augen, einer ziemlich stattlichen Nase, ergrauendem Haare und einem offenen und heiteren Antlitze. Wie sich ihm der Geringste im Volke mit Vertrauen nahte, so wußte sein Blick, wo er zürnte, auch den Vornehmsten einzuschüchtern. Seine Erscheinung war eine überaus würdevolle und nur wenig störte es das Ebenmaß der Glieder, daß sein Nacken etwas kurz und stark, sein Bauch ziemlich dick war. Er trat fest und mit männlicher Haltung auf, seine Stimme entsprach nicht ganz dem Eindrucke seines Aeußeren. Er erfreute sich fast durchaus einer festen Gesundheit, nur in seinen letzten vier Lebensjahren wurde er vom Fieber heimgesucht und zuletzt hinkte er auf einem Beine, da er auch nur ungern ärztlichen Rathschlägen Gehör gab. Sehr eifrig lag er nach fränkischer Sitte der Jagd ob – bald in den Ardennen (der Eifel), bald im Wasgau – und zeigte sich gern als gewandter Reiter. Mit seinen Söhnen und vielen Freunden badete er oft in Aachen.

Sein Anzug war der fränkische seiner Väter: ein leinenes Hemd und leinene Unterhosen, ein Wamms mit seidenen Streifen und Hosen, scharlachene Binden um die Beine und Schuhe, dazu im Winter ein Rock von Seehunds- oder Zobelpelz, endlich vervollständigte seine Kleidung ein meergrüner Mantel und ein Schwert mit goldenem oder silbernem Knauf und Gehänge. Bei festlichen Gelegenheiten war das letztere mit Edelsteinen verziert, desgleichen seine Schuhe, er trug dann ein golddurchwirktes Gewand, einen Mantel mit goldenem Haken und eine Stirnbinde aus Gold und Edelsteinen; römische Tracht legte er nur zweimal in Rom selbst an, wie er auch an den Seinen fremdländischen Putz nicht liebte. In Speise und Trank war er mäßig, namentlich verabscheute er an sich und anderen die Trunkenheit. Er gab nur selten große Gastereien, doch geschah es an den hauptsächlichen Kirchenfesten. Seine tägliche Mahlzeit bestand aus vier Gängen, zu denen regelmäßig sein Lieblingsgericht, ein Braten, hinzukommen mußte, den die Jäger ihm am Spieße hereintrugen. Bei dem Mahle trank er vielleicht dreimal und ließ sich gern etwas vorlesen, zumal aus der Geschichte der Vorfahren oder aus einem Kirchenvater. Zum Nachtisch nahm er Obst, wozu er noch einmal trank, und ruhte dann entkleidet 2–3 Stunden, um die oft durch Aufstehen unterbrochene Nachtruhe zu ergänzen. Während des Anziehens empfing er den Besuch von Freunden, ja sogar Streitsachen, die der Pfalzgraf ihm zur Entscheidung vorbehalten mußte und viele andere Geschäfte fanden alsdann ihre Erledigung.

K. verstand es in der Muttersprache sich nicht blos deutlich, sondern mit überströmender Beredtsamkeit auszudrücken. Der lateinischen Rede war er vollkommen mächtig, von der griechischen hatte er nur schwache Kunde. Seinen unersättlichen Eifer für die Studien berührten wir schon, noch in seinen späteren Jahren versuchte er sogar zu schreiben und hielt sich Wachstafeln in seinem Bette zur Hand, um schlaflose Stunden der Nacht damit auszufüllen, freilich ohne rechten Erfolg. Dem christlichen Glauben, dessen Förderung und Verbreitung Karls Gesetzgebung auf so vielen Wegen versuchte, war er von ganzem Herzen zugethan und mit andächtigem Eifer wohnte er den täglichen Gottesdiensten bei, wenn ihm auch die Erfüllung des Fastengebotes bisweilen schwer fiel. Er wollte, daß alles, was in der Kirche geschah, mit größter Ordnung und Würde geschähe, wie er auch auf die äußere gediegene Ausstattung hohen Werth legte. Fehlerfrei sollte namentlich gelesen und gesungen werden. Unwürdige Geistliche, solche die der nöthigen Bildung entbehrten, in Laienkleidung umherliefen und auf die Jagd gingen, bedrohte er mit großer Strenge. Mancherlei Aberglauben des Volkes bekämpfte er durch seine Gesetze.

Sehr eifrig zeigte sich K. in der Spendung von Almosen, nicht blos im eigenen Lande, sondern auch an die bedrängten Christen in Jerusalem, Alexandrien [150] und Kairawan. Seine überseeischen Verbindungen verfolgten gerade mit den Zweck, jenen Hilfe leisten zu können. Eine Art allgemeiner Armensorge wurde neben der kirchlichen Hilfe eingeführt. Unter den von ihm beschenkten Kirchen empfing die römische der Gaben reichste Fülle. Ein großer Theil der avarischen Kriegsbeute fiel im J. 796 ihr und anderen Gotteshäusern zu. Für die Erhaltung der kirchlichen Bauwerke durch die Bischöfe oder Lehnsleute sorgte eine ganze Reihe gesetzlicher Verfügungen.

Bereits im J. 811 setzte K. unter urkundlicher Bezeugung eine Theilung seines Schatzes fest, von dem er zwei volle Drittel den bischöflichen Kirchen seines Reiches bestimmte, mit den 21 Metropolen (unter ihnen Rom) an der Spitze. Von dem anderen Drittel sollte der vierte Theil den ersten zwei Dritteln zugelegt, die anderen drei Theile den Kindern, der Dienerschaft der Pfalz und den Armen zu gute kommen. Ein zu Gunsten der Töchter und unehelichen Kinder beabsichtigter letzter Wille gelangte nicht mehr zur Ausführung. Die Einsetzung Ludwigs zum Kaiser auf einer sehr zahlreich besuchten Reichsversammlung im September 813 sicherte die Nachfolge und die Zukunft. K. begnügte sich die Bastarde seiner brüderlichen Liebe zu empfehlen. Indem hier die Beschlüsse von fünf in verschiedenen Reichstheilen versammelten Kirchentagen, soweit sie gesetzliche Geltung erlangen sollten, zusammengesetzt wurden, legte der Kaiser darin gleichsam die Summe seiner Fürsorge für das Reich Gottes auf Erden nieder.

Bei jener Erhöhung Ludwigs war es nicht auf einen wirklichen Antheil an der Regierung für ihn abgesehen, denn er wurde aus der Reichsversammlung wieder nach Aquitanien entlassen, während K. in Aachen zurückblieb. Leidend schon seit dem vorhergehenden Herbste, begann er im Laufe des Winters ernstlicher zu kränkeln. Als auch das Fasten dem Fiebernden keine Erleichterung gewährte, rüstete er sich zum Scheiden, indem er am siebenten Tage seiner Krankheit aus der Hand Hildibald’s das heilige Abendmahl genoß. An demselben Tage, den 28. Januar 814 um 9 Uhr Morgens, verschied er, 72 Jahre alt. Da er selbst über seine Ruhestätte nichts verfügt hatte, so hielt man für das angemessenste, ihn in der von ihm selbst gestifteten Aachener Marienkirche beizusetzen, als dem bleibendsten Denkmale seiner Regierung. Dies geschah unter unsäglichen Wehklagen des Volkes noch an dem nämlichen Tage. Die Sage läßt ihn sitzend bestattet werden, zurückgelehnt auf dem Throne in vollem kaiserlichen Ornate, das goldene Schwert an der Seite, das Evangelienbuch auf den Knien. So fast unverändert soll ihn noch im J. 1000 Otto III. getroffen haben, als er aus begeisterter Verehrung seine Gruft öffnen ließ. Eine abermalige feierliche Beisetzung seiner Gebeine erfolgte unter Friedrich I., dem Nacheiferer seiner Thaten, der auch im J. 1165 die Heiligsprechung Karls durch den Gegenpapst Paschalis bewirkte, doch erkannte nachmals die gesammte Kirche dieselbe an. Seine Verehrung knüpfte sich vorzüglich an seinen Lieblingsplatz Aachen, wie die Heinrichs II. an Bamberg. Ein Schrein der Marienkirche bewahrt daselbst noch jetzt seine Gebeine und der Stuhl Karls des Großen erinnert an alle die deutschen Könige, die auf ihm thronend dem größten ihrer Vorgänger keineswegs gleichkommen konnten.

Fragen wir nach dem, was von den Thaten des gewaltigen Herrschers, den schon die Mitwelt einstimmig den Großen nannte, für die Nachwelt geblieben ist, so dürfte man besonders drei Seiten seiner Thätigkeit hervorheben. Für uns Deutsche liegt es am nächsten ihm dafür zu danken, daß er durch sein unüberwindliches Schwert zum ersten Male alle Stämme unseres Volkes zu einem Staatsganzen verbunden, daß er die Baiern ihres Herzogs beraubt, die Starrheit der Sachsen und Friesen unter das fränkische Joch gebeugt hat. Aber nicht nur zu einem Staate, sondern auch zu einer Kirche wurden sie durch ihn geeinigt. Schon 70–80 Jahre nach seinem Tode will daher ein sächsischer Dichter K. den [151] alten Aposteln begeistert anreihen, nach deren Vorbild er als Bekehrer die Sachsen zu den himmlischen Pforten eingeführt habe. Tief haftete unter ihnen, den Besiegten, sein einst so verhaßter Name: er erschien ihnen als Quell alles Rechtes und Gesetzes.

Wenn diese Verschmelzung der nord- und süddeutschen Stämme bis auf die Gegenwart herab und hoffentlich noch für eine ferne Zukunft ihre Wirkungen fühlbar macht, so gilt dies nicht minder von der Wiedergeburt der wissenschaftlichen Studien, die ganz und gar dem Antriebe wie dem Beispiele Karls verdankt wird, dem es gelang die rechten Männer als Werkzeuge an sich zu ziehen. Die grundlegende Bedeutung dieser Wiederherstellung für Frankreich und Deutschland bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung: das spätere Mittelalter läßt daher durch K. den Sitz der Studien von Rom nach Paris verlegt werden: er steht an der Spitze all unserer gelehrten litterarischen Bildung, wie auch der Litteratur in der von ihm so warm geliebten Muttersprache.

Ein drittes ist die Erwerbung des Kaiserthums nebst der demselben vorausgehenden Eroberung Italiens. Auf K., der allerdings in dieser Hinsicht nur der Vollender des von seinem Vater begonnenen Werkes war, geht demnach jene erst in unseren Tagen völlig gelöste, in so vielem Betrachte verhängnißvolle Verkoppelung Deutschlands und Italiens mit all ihrem Segen und Unsegen zurück. Seine Kaiserkrone schwebte mit verlockendem Glanze als Leitstern den deutschen Königen vieler Jahrhunderte vor und führte sie zur Herstellung des heiligen römischen Reiches wieder und immer wieder über die Alpen. Leuchtet doch ein letzter Abglanz dieser Krone noch bis in unsere Tage hinein.

Wenn auch Karls Reich in der Entwickelung des Abendlandes nur einen Durchgangspunkt bezeichnet und seine Herrschaft nicht in vollem Umfange sich behaupten konnte, so hat er als der Fortsetzer dessen, was einst die germanischen Volkskönige der Wanderung angestrebt, die Merowinger vorbereitet hatten, in der That Germanen und Romanen zu einem Ganzen verbunden und die weitere Entwickelung dieser Völker in ihrer steten Wechselwirkung trägt das Mal jener ehemaligen Vereinigung an sich. Nicht minder hat er zuerst die Deutschen zu den Slaven in ein festes Verhältniß gesetzt, die Ueberlegenheit jener als des an geistiger Begabung und Kultur höher stehenden Volkes über die nahe verwandten Nachbarn im Osten, wenigstens in den Umrissen, begründet, deren weitere Ausfüllung den Nachfolgern überlassen blieb. Für den tiefen Eindruck, den seine Persönlichkeit auch in dieser Richtung zurückließ, zeugt das aus seinem Namen abgeleitete slavische Wort für König: Kral.

Geister von so ursprünglicher Schaffenskraft wie der Karls pflegen ihrer Zeit weit vorauszueilen. So stellt denn sein Reich und die Herrschaft der Karolinger überhaupt uns eine Stufe dar, von welcher die nächstfolgenden Jahrhunderte erheblich herabsanken. Sehr bald verlor sich wieder der fruchtbare Gedanke einer allgemeinen Volks- und Laienbildung gegenüber der einseitig geistlichen, nur spärlich gediehen die Keime deutschen Schriftthums, nicht lange verharrten die römischen Päpste in der heilsamen Abhängigkeit und Unterordnung, in welche Karls starke Hand sie versetzt hatte, und ihre Stärkung bedeutete eine unheilvolle Schwächung des Staates. Der feste Mittelpunkt, den K. dem gewaltigen Bau in Aachen gegeben hatte, verschwand und seine Nachfolger gingen auf die Wanderschaft. Die Einrichtung der Königboten verfiel und der Adel schädigte immer ungestrafter die Freiheit des kleinen Mannes. Die unter K. so überaus thätige, alle Kreise des Lebens in einschneidender Weise berührende Gesetzgebung ließ bald erheblich nach und auf dem unklaren und schwankenden Grunde des bloßen Gewohnheitsrechtes konnten sich manche neue Bildungen erheben, welche das feste Gefüge des Reiches lockerten und seinen Bestand minderten. Wie sehr K. selbst bemüht gewesen war, das durch ihn Geschaffene [152] auch der Nachwelt zu sichern, geht daraus hervor, daß er die Gesetze und Beschlüsse der Reichstage an mehreren Orten sorgfältig aufzubewahren befahl, daß er ferner die Schreiben der Päpste an ihn und seine unmittelbaren Vorgänger in dem Bewußtsein ihrer Wichtigkeit in ein Buch (codex Carolinus) zusammenfassen ließ. –

Unter den Quellen für die Geschichte Karls d. Gr., die immerhin erheblich reichlicher fließen als für seine unmittelbaren Vorgänger, nimmt einerseits Einhard’s Vita Karoli Magni die erste Stelle ein, die nach dem Vorbilde von Sueton’s Kaiserbiographien mit genauer Kenntniß namentlich der späteren Lebenszeit des Kaisers verfaßt, ein mit liebevoller Treue gezeichnetes Bild desselben entwirft, andererseits die von namenlosen Verfassern herrührenden Annalen, von denen die größten nach dem Kloster Lorsch benannt werden. Daß ihre Abfassung vom Hofe her angeregt worden, möchte ich trotz der Einwendungen v. Sybels (Histor. Zeitschr. 43) festhalten. Sehr wichtig sind von anderen Geschichtswerken die Papstleben. Ein zwar von der Sage ein wenig berührtes, in den Grundzügen jedoch echtes Bild Karls gewährt unter seinem Urenkel Karl III. der Mönch von St. Gallen. Von den Capitularien ist eine neue kritisch berichtigte Ausgabe von Boretius[WS 1] soeben erschienen. Wir besitzen noch eine nicht geringe Zahl von Urkunden des großen Kaisers, über welche am eingehendsten Theodor Sickel handelt (die Urkunden der Karolinger I, II, Wien 1867–68), nicht minder haben sich viele Briefe aus seiner Zeit erhalten, unter denen die seines Vertrauten Alkuin den größten Raum einnehmen (s. Jaffé, Monumenta Carolina und Alcuiniana, Berolini 1867, 1873). Zum Theil aus diesen, noch mehr aber aus den Gedichten dieser Zeit lernen wir das Treiben und den Geschmack der Hofschule kennen, wie denn die letzteren überhaupt (kürzlich von mir neu herausgegeben als Poetae latini aevi Carolini I) uns am treuesten den gesammten Kulturzustand dieses Kreises wiederspiegeln.

Unter den neueren Hilfsmitteln für die Erforschung dieser Zeit nimmt jetzt den ersten Platz ein: Böhmer-Mühlbacher, Die Regesten des Kaiserreichs unter den ersten Karolingern, Innsbruck 1880–82. Eine kritische, nicht immer erschöpfende Darstellung begann Sigurd Abel, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen, Bd. I. 768–788, Berlin 1866; ohne gelehrtes Beiwerk handeln über ihn Kaufmann, Deutsche Gesch. bis auf Karl d. Gr. II, Leipz. 1881, Arnold, Deutsche Gesch. II, 1, Gotha 1881. Von allgemeineren Werken ist zu berücksichtigen: Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, III. u. IV. Inama-Sternegg, Deutsche Wirthschaftsgeschichte, Leipz. 1879. Wattenbach, Deutsche Geschichtsquellen I. Ebert, Geschichte der Litteratur des Mittelalters II; für die Sagengeschichte: Gaston Paris, Histoire poét. de Charlemagne, 1865. Sehr zahlreich ist die monographische Litteratur, darunter: von Richthofen, Zur Lex Saxonum, 1868. Boretius, Die Capitularien im Langobardenreiche, Halle 1874. F. v. Wyß, Karl d. Gr. als Gesetzgeber, Zürich 1869. Büdinger, Oesterreichische Geschichte I, Leipz. 1858. Riezler, Gesch. Baierns I, Gotha 1878. Harnack, Das karolingische und das byzantinische Reich, Gött. 1880. Leist, Die litterar. Bewegung des Bilderstreites, Magdeb. 1871. Größler, Die Ausrottung des Adoptianismus im Reiche Karls d. Gr., Eisleben 1879. Arbeiten von S. Abel, F. Hirsch, Kentzler, Pauli, Simson, Soetbeer in den Forsch. zur deutschen Geschichte I, IV, VI, XI–XIII. Floß, Die Aachener Heiligthümer, Bonn 1855 etc.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Alfred Erwin Boretius (1836-1900), Historiker und von 1878-1881 Mitglied des Deutschen Reichstags.