ADB:Otto I. (König von Griechenland)

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Artikel „Otto, König von Griechenland“ von Karl Theodor von Heigel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 691–699, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Otto_I._(K%C3%B6nig_von_Griechenland)&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 14:05 Uhr UTC)
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Band 24 (1887), S. 691–699 (Quelle).
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Otto, König von Griechenland, geb. 1. Juni 1815 zu Salzburg, wo sein Vater, Kronprinz Ludwig von Baiern, als Statthalter residirte. Der baierische Thronfolger war der erste und lange Zeit der einzige Fürst, der seine Sympathie für den griechischen Befreiungskampf offen an den Tag legte; auch nach seiner [692] Erhebung auf den Königsthron bewahrte er dem Hellenenvolk, in welchem er die echten Nachkommen der Helden von Salamis und Platää erblickte, diese Gunst und bethätigte durch Unterstützung mit großen Summen und Sendung tüchtiger Officiere seine Vorliebe für das classische Land. Als nun das Erlösungswerk glücklich gelungen war und die europäischen Großmächte, um der im befreiten Lande aufgewucherten Anarchie zu steuern, der griechischen Nationalversammlung die Wahl eines abendländischen Prinzen zum Oberhaupt des neugeschaffenen Staates empfahlen, lag es nahe, an das Haus des königlichen Philhellenen zu denken. Nachdem der Bruder König Ludwigs, Prinz Karl, sowie Prinz Leopold von Koburg die Krone abgelehnt hatten, wurde von einflußreichen Griechenfreunden auf den zum Jüngling heranwachsenden zweiten Sohn des Königs von Baiern, O., hingewiesen. Insbesondere der berühmte Münchner Philologe Friedrich Thiersch griff diesen Gedanken mit Enthusiasmus auf; schon im November 1829 suchte er dem Genfer Banquier Eynard, dem opferwilligen Vorsteher der abendländischen Griechenvereine, auseinanderzusetzen, daß in der Person des Prinzen O. Alles vereinigt sei, was einem Souverän Griechenlands nöthig und nützlich sein könnte. Gerade das jugendliche Alter des mit trefflichen moralischen und intellectuellen Eigenschaften ausgestatteten Königssohnes sei als Vortheil zu betrachten, da er noch der künftigen Bestimmung entsprechend erzogen werden könnte; das bairische Königshaus sei so begütert und angesehen, daß es dem Prinzen ausreichende Hilfsmittel zur Herstellung und Befestigung der finanziellen und socialen Ordnung zur Verfügung zu stellen vermöchte, sei aber nicht so mächtig, daß der Anfall einer Krone bei den Großmächten Eifersucht oder Mißtrauen erwecken würde u. s. w. Auch dem Könige legte Thiersch diese Pläne dar; Ludwig antwortete ausweichend, er könne in dieser Sache nichts thun, um nicht den Verdacht zu erregen, als hätte er sich der Maske des Philhellenismus nur bedient, um selbstsüchtige Absichten zu betreiben; er weigerte sich auch, der Reise, welche Thiersch 1831 nach Griechenland unternahm, ein officielles Gepräge zu verleihen; trotzdem war nicht daran zu zweifeln, daß ihm die Agitation Eynard’s und Thiersch’ willkommen war. Die Berichte, welche letzterer aus Hellas über seine Beobachtungen und Unterhandlungen an den König erstattete, sind eine wichtige Quelle für die griechische Geschichte jener Jahre; es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß der tüchtige Schulmann damals unter schwierigen Verhältnissen auch manche staatsmännische Vorzüge an den Tag legte. Es gelang ihm, Kapodistria mit der Berufung des baierischen Prinzen zu befreunden, ja, der Präsident, von den im englischen oder französischen Interesse operirenden Parteien heftig bedrängt, erblickte darin schließlich die einzige Hoffnung auf Rettung; er wandte sich unmittelbar an König Ludwig, um im Namen Griechenlands des Königs Sohn, im Namen dieses Sohnes die Rettung Griechenlands zu heischen. Das Schreiben Kapodistria’s war noch nicht beantwortet, als dieser selbst unter den Dolchen seiner Todfeinde verblutete. Als nach dieser barbarischen Katastrophe in ganz Griechenland der Bürgerkrieg furchtbarer denn je aufloderte, gelang es noch leichter, in den einflußreichsten Parteihäuptern die Ueberzeugung zu wecken, daß die Erhebung des Prinzen O. die beste Handhabe zur Vereinigung der Hadernden bieten könnte, und ebenso gewann die Idee der Aufstellung eines Basileus in der Person des baierischen Prinzen unter den Vertretern der Großmächte immer mehr Freunde. Thiersch, der noch immer in Griechenland verweilte, beschwor den König, „bei der tiefen Liebe und Theilnahme, welche er diesem Lande bewährt, durch Annahme seiner Herrschaft für Allerhöchst dero zweiten Sohn diesem unglücklichen Volke die größte der Wohlthaten nicht vorzuenthalten: eine Verweigerung wäre seine Verzweiflung, vielleicht das Urtheil seines Todes.“ Während die Londoner [693] Conferenz mit der Entscheidung zögerte, wüthete der Parteienkampf in Griechenland fort, alle moralischen und gesellschaftlichen Bande waren gelöst, es lag jetzt schon offen zu Tage, daß die Herrschaft über ein durch endlosen Krieg gänzlich verwüstetes Land und ein verwildertes, durch Parteihader zerklüftetes, dabei aber politisch anspruchsvolles Volk nur als Danaergeschenk zu betrachten sei. Nur strengstes Einschreiten der europäischen Mächte konnte der durch Kolettis geleiteten kybernitischen Regierungspartei einige Autorität schaffen. Trotzdem erwiderte König Ludwig auf eine Anfrage der Mächte, er wolle für seinen Sohn O. die Wahl annehmen, falls die Grenzlinien des neuen Hellas von Arta bis Volo gezogen und eine Anleihe von 60 Millionen Francs von den Großmächten garantirt würden; dagegen gab er – wozu er ohne Befragung der Kammern kaum berechtigt war – die Zusage, daß sein Sohn auch als König im Besitz der Apanage eines baierischen Prinzen bleiben und von einem Corps von 3500 Baiern nach Griechenland begleitet werden sollte. Solange O. minderjährig, sollte eine aus baierischen Beamten gebildete Regentschaft den Staat verwalten. Doch wurde die endgiltige Annahme der Krone von unbedingter Zustimmung des griechischen Volkes abhängig gemacht. Auf Grundlage dieser Bedingungen wurde von den Großmächten am 7. Mai 1832 ein förmlicher Vertrag abgeschlossen, der auch für den Fall des Ablebens Otto’s ohne Nachkommen den Uebergang der Krone an die jüngeren Brüder Otto’s und ihre Descendenz garantirte. Am 27. Mai 1832 wurde die Acte von König Ludwig ratificirt, am 8. August erhielt sie durch einstimmige Anerkennung der griechischen Nationalversammlung volle staatsrechtliche Begründung. Auch bei der Mehrheit des Volkes war die getroffene Wahl populär; man erwartete, daß mit Einsetzung eines Oberhauptes Ruhe und Ordnung wiederkehren und durch den abendländischen Basileus auch ausreichende Geldmittel in das gänzlich verarmte Land geschafft würden. Gerade während in München das herkömmliche Octoberfest gefeiert wurde, kam dahin eine Deputation, bestehend aus Miaoulis, Kaliopulos und Markos Bozzaris als Repräsentanten der Inseln, des Peloponnes und des Festlandes. In der Residenz begrüßten sie zum erstenmal ihren König. O. war eine einnehmende Erscheinung, auch sein schlichtes, freundliches Benehmen machte auf die Gesandten günstigsten Eindruck, und die herzlichen Worte, womit er seine Erklärung bezüglich der Annahme der Krone begleitete, weckten in Griechenland begeisterten Jubel. Von staatsmännischem Scharfblick des Vaters schien auch die Zusammensetzung der Regentschaft günstiges Zeugniß zu geben; sie bestand aus dem früheren Staatsminister, Josef Ludwig Graf von Armansperg, der auf dem Gebiet der Staatsfinanzen als Autorität galt, Staatsrath Dr. Georg Ludwig v. Maurer, einem tüchtigen Juristen, Legationsrath Karl v. Abel, einem bewährten Verwaltungsbeamten, und Generalmajor Karl Wilhelm v. Heydeck, der selbst am griechischen Befreiungskampf theilgenommen und sich eine genaue Kenntniß der Bedürfnisse des Heeres erworben hatte. Nachdem die Grenzrectification zwischen der Türkei und Griechenland durch die Londoner Conferenz durchgeführt und eine Anleihe eröffnet war, verließ O. im December 1832 München, fuhr über Rom nach Brindisi und schiffte sich auf einer englischen Fregatte nach Nauplia ein. In Korfu stieß er auf das bairische Corps, das den Weg über Triest genommen hatte. Am 30. Januar 1833 erschien das bairische Geschwader, 43 Segel zählend, im Hafen von Nauplia, am 6. Februar hielt der erste König Gesammtgriechenlands seit den mythischen Zeiten des Deukalion festlichen Einzug, der durch die Meisterhand des Malers Heß verewigt ist. Stürmischer Jubel empfing den Jüngling, aber der blutige Kampf, der sich kurz vor seiner Ankunft zwischen Franzosen und Griechen in Argos entsponnen hatte, bewies, daß zur Zeit von einer Rückkehr geordneter Zustände noch keine Rede [694] und der Spott einer Flugschrift, welche die Lage der neuen Monarchie mit Lazarus verglich, dem die Großmächte einfach zuriefen: „Hebe dich auf, nimm dein Bett und geh’!“ nicht unbegründet war. Die Frage, ob den Griechen ein „Syntagma“ bewilligt werden sollte, war in London offen gelassen worden; man hatte dort gewußt, daß König Ludwig, durch die Nachwirkung der Julirevolution auf Deutschland erschreckt, der liberalen Richtung abhold geworden war und von Verleihung einer griechischen Constitution nichts hören wollte. Sicherlich war es auch mindestens zweifelhaft, ob die gegenwärtige Lage eine Verfassung ermögliche oder gar erheische; auch Kapodistria hatte sich gegen solche Wünsche ablehnend verhalten. Allein die Griechen waren keine Deutschen, die sich, nach einem blutigen Befreiungskampf mit ihrer Forderung verfassungsmäßiger Rechte abgewiesen, mit elegischen Klagen trösteten; als den Wünschen der Nachkommen der Kleon und Aeschines nicht Rechnung getragen wurde, frondirte eine sehr starke Partei von Anfang an gegen die Regierung. Unter solchen Umständen hätten entweder gewisse volksfreundliche Zugeständnisse gemacht oder es hätte ein starkes absolutistisches Königthum aufgerichtet werden sollen: das eine lag nicht im Willen, das andere nicht im Vermögen der neuen Staatsgewalt. Und welche Aufgaben harrten in Hellas einer Lösung! Fast das ganze Land war in eine Wüstenei verwandelt, die Volkszahl erschreckend zurückgegangen, – Griechenland zählte nur noch 700,000 Einwohner, – die öffentlichen Kassen waren leer, die Gerichte fast allenthalben aufgelöst, und fort und fort befehdeten sich die Parteien mit leidenschaftlicher Erbitterung. Aus so stürmisch erregten, zerrütteten Elementen einen Staat zu bilden, diese Aufgabe war zunächst den zur Regentschaft berufenen Männern übertragen. Bis zu welchem Grade eine Lösung gelang, welche Bahnen eingeschlagen wurden, welche Hindernisse den Einzelnen und der Gesammtheit des Regentschaftsrathes entgegentraten, ist in den Biographieen von Abel, Armansperg, Heydeck und Maurer dargelegt. Nur mit Waffengewalt konnten die revolutionären Gelüste der Mainotten unterdrückt werden; eine Armeereform war für die des regulären Dienstes ungewohnten Palikaren ein Greuel, die von Heydeck dringend geforderte Einführung abendländischen Reglements wurde verworfen, langsam nur konnte die Organisation einer nationalen Armee fortschreiten. Dagegen wurde für die Civilverwaltung das abendländische Vorbild gar zu getreu copirt, die Berufung zahlreicher bairischer Beamten wurde von den Griechen mit scheelen Augen betrachtet, und die Vertreter der abendländischen Schutzmächte verfehlten nicht, warnend einzuflüstern: Ja, soll denn Griechenland germanisirt werden? Allein einzelner Mißgriffe wegen darf nicht übersehen werden, wie viel Gutes in jenen Jahren für Ordnung und Hebung des Landes geschah. Für die Staatsfinanzen konnte freilich nicht mit einem Schlag eine günstige Lage geschaffen werden, für die Schulen, das Verkehrswesen und vor allem die für Griechenland so wichtige Marine hätte mehr geschehen müssen. Was aber für Hebung des Ackerbaues und der Industrie, öffentliche Sicherheit und Ordnung geleistet wurde, trug manche gute Frucht noch in einer Zeit, da das Regiment der „querköpfigen“ Baiern nicht genug verspottet werden konnte und die Vertreibung der „dreißig Tyrannen“ in Scene gesetzt wurde. Leider gelang es den Intriguen der Diplomaten der Großmächte nur allzu leicht, Zwist unter den Mitgliedern der Regentschaft selbst zu erregen. Gegen Armansperg, der sich der russischen Partei auf’s engste anschloß, erhoben Maurer und Abel, die von dem mit eigenen Interessen weniger betheiligten Frankreich uneigennützigere Hülfe erwarteten, die Beschuldigung, er strebe nach einer Dictatur und habe nur den eigenen Vortheil im Auge; Armansperg dagegen suchte seine Collegen als Vertreter ultraliberaler Grundsätze, sich selbst als den einzig getreuen Anwalt des monarchischen Princips hinzustellen. Beide [695] Theile appellirten an König Ludwigs Entscheidung. Da der Courier Armanspergs früher nach Schloß Berg gelangte, als der von Maurer entsandte Vertrauensmann, schenkte Ludwig den auch vom englischen Cabinet unterstützten Vorstellungen des Grafen Gehör, im Juni 1834 wurden Maurer und Abel abberufen und durch die Staatsräthe Kobell und Grüner ersetzt. Die gewöhnliche Annahme, der Sturz der beiden Staatsmänner sei erfolgt, weil sie die von vielen Griechen so heiß ersehnte Verfassung hätten einführen wollen, ist falsch; dies erhellt aus einem Briefe, den Abel von München aus am 16. April 1835 an General Heydeck richtete. Darin heißt es u. A.: „Bitten und beschwören Sie den König O., daß er sich nicht verleiten lasse, eine Constiiution zu geben, wäre es auch nur eine der Jonischen nachgebildete: damit würde er die eine Parthei aufreizen und die andere nicht befriedigen, sich aber die Hände binden und die Anforderungen weiterer Concessionen ermuthigen.“ Ebensowenig gehörte aber Abel damals zu jener kirchlich-politischen Richtung, als deren Hauptvertreter er einige Jahre später nach seiner Ernennung zum bairischen Minister angesehen wurde. „Ich höre aus guter Quelle“, schreibt er am 16. Januar 1835 an Heydeck, „daß Oberkamp, unser bisheriger Legationssecretär zu Wien, dortselbst Schritte gemacht habe, um zu erfahren, ob wohl der Herzog von Modena geneigt sei, die Hand seiner Tochter dem König O. zu geben, daß derselbe aber, als davon Kunde hierher (München) gekommen, auf das bestimmteste desavouirt und dann auf den Wunsch der Kaiserin abberufen worden sei. Thatsache ist, daß Oberkamp sich seit kurzem wieder in der Quiescenz dahier befindet und nicht mehr verwendet wird. Sollte König O. nichts davon wissen und hinter dem Ganzen eine von Oettel (dem früheren Religionslehrer König Otto’s) und der Jesuitenparthei geführte Intrigue stecken, deren Zweck war, den König an die Tochter des Capo aller Jesuiten zu verkuppeln?“ – Bald nach Abberufung der beiden Regentschaftsmitglieder brach ein neuer Aufstand der Mainotten in Messenien aus, die Familien Kolokotronis und Kaliopulos zettelten Intrigue auf Intrigue an; deßhalb mußte, da im Frühjahr 1834 vertragsgemäß die bairischen Truppen abgezogen waren, ein sehr hoher Militärstand beibehalten und hiefür der größte Theil der durch Anleihen gewonnenen Summen verausgabt werden. Trotzdem war die Lage des jungen Königs, der seit Frühjahr 1834 seine Residenz nach Athen verlegt hatte, eine höchst gefährdete, so daß die aufrichtigen Griechenfreunde mit banger Besorgniß dem 1. Juni 1835, an welchem Tage der König selbst die Zügel der Regierung ergreifen sollte, entgegensahen. Maurer, der auch nach seiner Abberufung die Vorgänge und Wandlungen in Griechenland mit warmer Theilnahme verfolgte, gab in seinen Briefen wiederholt der Befürchtung Ausdruck, der neue Regent werde einen incurablen Patienten zu behandeln haben, und wenn die Kur nicht anschlage, werde der störrische Kranke dem Arzt die Schuld geben und mit schnöder Münze die Rechnung bezahlen. „Nach allem, was ich erfahre“, schrieb auch Kreuzer, der Cabinetssecretär des Königs von Baiern, an Heydeck, „ist der Stand der Sachen in Griechenland nicht glänzend und wird dem jungen König allein überlassen bleiben, seinen Thron zu fundiren, zu construiren und zu conserviren, eine Aufgabe, welche nur drei Arbeiten in sich befaßt, die aber schwerer sein werden als die zwölf des Herakles.“ Da König Ludwig zwar mit dem Verhalten Armanspergs nicht durchaus einverstanden, aber von der Ansicht durchdrungen war, daß vor allem ein guter Finanzminister dem jungen Staat nothwendig und ein besserer als Armansperg nicht zu finden sei, behauptete dieser von der englischen Diplomatie und der Firma Rothschild gestützte Staatsmann auch nach der Mündigerklärung des Monarchen als Premierminister den maßgebendsten Einfluß. Der Staatsrath, durch dessen Einsetzung den Hellenen Antheil am Regiment gewährt werden [696] sollte, gewann gar keine Bedeutung; die factische Leitung blieb in Händen des ersten Ministers. König O. selbst war deß gern zufrieden. Nicht als ob er Unthätigkeit vorgezogen hätte: vom Gegentheil zeugt sein überaus zahlreiche eigene Arbeiten enthaltender schriftlicher Nachlaß, aber es fehlte ihm an Selbständigkeit und Selbstbewußtsein; Wohlwollen, Leutseligkeit, aufrichtige Liebe zum neuen Vaterland und andere liebenswürdige Eigenschaften reichten nicht aus, um ein mit südlichem Temperament begabtes Volk auf die Dauer in respectvollem Gehorsam zu erhalten. „Altenburger, nicht Wittelsbacher Blut!“ urtheilte König Ludwig über den Sohn, der nicht selten in seinen Briefen durchblicken ließ, wie wenig Befriedigung ihm seine Würde gewähre. Endlich beschloß der Vater, durch eigene Anschauung sich zu überzeugen, durch welche Mittel in Griechenland die Ruhe befestigt, das Vertrauen der Nation gewonnen werden könnten. Die Rundreise durch Griechenland, welche er im Winter 1835 antrat, war für den königlichen Philhellenen ein Triumphzug, für die Griechen ein ununterbrochenes nationales Freudenfest. Dieser Jubel ließ den entzückten Gast der Heimath Homers ganz und gar übersehen, daß die Mehrheit der Eingebornen in seinem Sohne doch nur den Fremden, den Ketzer erblicke und dessen Herrschaft noch keineswegs feste Wurzel gefaßt habe. Im Mai 1836 besuchte O. sein deutsches Vaterland; für die Dauer der Abwesenheit wurde Armansperg wieder mit der Regentschaft betraut. Auch in dieser Zeit ließ es Armansperg an Versuchen, die Landeßcultur zu heben, nicht fehlen, ja, es wurden im Gegentheil nur allzu viel Verordnungen erlassen, während einem halbgebildeten Naturvolk sogar ein despotisches Säbelregiment noch leidlicher erscheinen wird, als eine übermäßig ausgedehnte Bureaukratie. Der Spott Fallmerayers, nach Hellas seien neun Chöre Schreiber berufen worden, um für viele Tonnen geliehenen Goldes „Kostenaufwands-Berechnungs-Ueberschlags-Tabellen“ herzustellen, war nicht unberechtigt. Dazu kamen viele unbegründete Klagen. Seit Athen Landeshauptstadt geworden war, erhob es sich langsam aus den Ruinen, eine auf diesem classischen Boden gestiftete Hochschule sollte ein Brennpunkt abendländischer Bildung für den Orient werden, von Ansehen und Würde des Staates sollte eine stattliche Königsburg Zeugniß geben. Allein solche Umwandlung der herabgekommenen Stadt erheischte beträchtliche Mittel, und auch sonst mußte für alle möglichen Verbesserungen und Reformen der Staatssäckel aushelfen. Da war an einen Aufschwung der Finanzen nicht zu denken, und mehr als einmal konnte der Staat nur durch das Mitleid oder vielmehr die Eifersucht der abendländischen Mächte vor einem Bankerott bewahrt werden. Auch König Ludwig streckte neuerdings eine dem bairischen Fonds für Defensionszwecke entnommene Summe von 1,800,000 Gulden vor; als diese Anleihe 1849 durch den Abgeordneten Kolb in der bairischen Kammer mit bitteren Worten gerügt wurde, leistete der inzwischen vom Thron herabgestiegene König Ersatz aus seinem Privatvermögen; erst nach dreißig Jahren aber löste die griechische Regierung ihre Verbindlichkeiten theilweise ein. Hauptsächlich auf Eynard’s Betreiben wurde Armansperg nach der Rückkehr Otto’s entlassen. An dessen Stelle trat Rudhart, vormals Regierungspräsident in Regensburg, allein auch dieser tüchtige Beamte konnte sich nicht lange halten; das englische Cabinet, das, wie Eynard urtheilte, keinem Anderen die Herrschaft gönnte, selbst aber vom nacktesten Egoismus beherischt war, setzte seine Umtriebe fort, und auch nach Abberufung Rudhart’s war den Nachfolgern von griechischer Nationalität kein günstigeres Geschick beschieden. Die Lage wurde noch verschlimmert, als die schöne, geistvolle Amalie, eine geborne Prinzessin von Oldenburg, die O. während seines Aufenthalts in Deutschland zum Altar geführt hatte, durch Eifer und Energie gut machen wollte, was die Passivität des Gatten verschuldet haben sollte. Die Einmischung der hohen Dame in die Regierungsgeschäfte [697] trug nicht die erwarteten guten Früchte, wenn auch selbstverständlich der Klatsch Edmond About’s nur skeptisch aufgenommen werden darf. Auch die Kinderlosigkeit des königlichen Paares verhinderte eine Festigung des Thrones; nicht minder nachtheilig war es, daß O. nicht zu bewegen war, zum griechischen Bekenntniß überzutreten, während dem auf die orthodoxen Elemente sich stützenden russischen Cabinet allzeit mächtiger Einfluß gesichert war. Auf die Westmächte eifersüchtig, spielte Rußland den Schutzherrn der sogenannten „großen Idee“, indem es die Hoffnung auf neue Eroberungen, auf Wiedervereinigung aller vom Türken geraubten Theile von „Groß–Hellas“ nährte. Auch im königlichen Cabinet fehlte es nicht an platonischer Hinneigung zu solchen Pkänen, nur glaubte man hier sicherer zu gehen, wenn man unter Frankreichs Flagge operiren würde. Als im Sommer 1841 wirklich das Project in’s Auge gefaßt war, der Pforte die Insel Kandia zu entreißen, richtete Metternich an den König von Baiern eine geharnischte Aufforderung, O. möchte von abenteuerlicher Politik zurückgehalten werden. Ludwig handelte auch in diesem Sinne und mahnte, man möge in Athen zuerst darnach streben, das Deficit zu überwinden, ehe man sich auf zweideutige Unternehmungen einließe. So nüchternes Abwägen und Abwarten galt aber den unruhigen Köpfen in Athen und Nauplia als „unwürdige Unentschlossenheit“, während es hinwider als „despotische Halsstarrigkeit“ der Regierung gebrandmarkt wurde, daß den Griechen noch immer nicht ihr „Syntagma“ verliehen war. Die Unzufriedenheit mit den Bavaresen wuchs, und als vertragsgemäß im September 1843 die letzten deutschen Hilfstruppen abgezogen waren, kam es am 15. September 1843 in Athen zum Aufstand. Volk und Heer fraternisirten, an Widerstand war nicht zu denken, der erschreckte König mußte sich allen Forderungen der Opposition fügen. Das Syntagma ward bewilligt, eine Nationalversammlung einberufen, ja, sogar ein Ministerium Metaxas, das aus den Reihen seiner leidenschaftlichsten Gegner hervorging, ließ sich O. gefallen. Am 30. März 1844 beschwor O. die neue Verfassung, wonach fortan dem Monarchen zwar die Executivgewalt angeblich uneingeschränkt verbleiben, die legislative dagegen zwischen der Regierung, einem Senat von 27 Mitgliedern und 230 Deputirten getheilt sein sollte. Die Nachgiebigkeit wurde jedoch nur auf Furcht und Schwäche zurückgeführt, und der Kampf gegen die „fremde Dynastie“ spann sich, wenn auch unter gemäßigteren Formen, fort. Nicht bloß tauchten jetzt in der Kammer die alten Parteikämpfe wieder auf, noch schädlicher für das Land und gefährlicher für den Thron wirkte die Bestechung der Parteihäupter durch die fremden Mächte. Im griechischen Parlament wurde nicht so fast um griechische Angelegenheiten, als um die Mittelmeer-Interessen der einzelnen Großmächte gestritten. Wenn die Berufung Metaxas’ einen Sieg des russischen Einflusses bedeutet hatte, folgte bald darauf unter englischer Einwirkung ein Ministerium Maurokordatos, und wenige Monate später mußte auch dieses infolge einer Coalition der französischen und russischen Partei einem Ministerium Kolettis weichen. Und so ging es fort, ein Systemwechsel folgte dem andern, – da war an ersprießliche Fortschritte der inneren Entwicklung, vor allem an Ordnung der Finanzen nicht zu denken. Die Unpünktlichkeit der Zinsenzahlung gab dem Hauptgläubiger, dem englischen Cabinet, eine gefährliche Waffe gegen die griechische Regierung in die Hand, und Palmerston scheute auch vor brutalem Vorgehen gegen den ohnmächtigen Griechenkönig, dessen Händen mehr und mehr die Zügel der Regierung entglitten, nicht zurück. Im Januar 1850 erschien eine englische Flotte im Piräues, und ein englisches Ultimatum forderte die Inseln Elaphonisi und Sapienza, weil sie angeblich zu der unter britischem Protectorat stehenden jonischen Gruppe gehörten; die griechischen Kriegs- und Handelsschiffe wurden mit Beschlag belegt, der [698] Piräus und andere Häfen blokirt. Der Protest der bedrängten Griechen blieb erfolglos; er wurde zwar von den Vertretern anderer Großmächte „freundschaftlich“ entgegengenommen, auch an günstigen Versprechungen ließen es Frankreichs und Rußlands Vertreter nicht fehlen, aber die Blokade dauerte fort, und Griechenland mußte sich endlich doch den demüthigenden Forderungen Englands fügen. Für Verlust und Schimpf machten die Griechen nicht die eigene Ohnmacht, sondern die Schwäche ihres Königs verantwortlich, – ja, als in den nächsten Jahren eine Traubenkrankheit in den griechischen Weinbergen großen Schaden anrichtete und durch ein Erdbeben viele Ortschaften zerstört wurden, hatte die Regierung, der sich eine Schuld an solchen Unglücksfällen nicht wohl beimessen ließ, wenigstens unter der darans erwachsenen Mißstimmung zu leiden. Umsonst ging O. bezüglich der im Herbst 1852 sanctionirten Organisation der Landeskirche, wonach der Heilige Synod fortan vom Patriarchen in Constantinopel unabhängig und auch sonst völlig autonom bleiben sollte, und ebenso bezüglich der Regelung der Thronfolge – da der nächstberechtigte dritte Sohn König Ludwigs, Luitpold, sich zu einem Religionswechsel nicht herbeilassen wollte, wurde das Erbfolgerecht auf den vierten Sohn, Adalbert übertragen, – auf alle Wünsche der Griechen ein, die Entfremdung zwischen König und Volk war durch solche Concessionen nicht mehr zu überbrücken. Gegen seinen Willen wurde O. in den Krimkrieg verwickelt. Die in ganz Griechenland herrschende Erbitterung gegen England ließ nicht zu, daß das im Innern zerrüttete Reich, wie es der Wunsch des Königs und der Westmächte gewesen wäre, neutral blieb; O. mußte nothgedrungen im Interesse der „großen Idee“ dem Einfluß jener Partei, welche Untergang und Theilung des Osmanenreiches als nahe bevorstehend ansah, nachgeben und den Anschluß an Rußland suchen. In denjenigen türkischen Provinzen, welche einen starken Bruchtheil griechischer Bevölkerung haben, wurde der Aufstand organisirt, der diplomatische Verkehr mit der Pforte abgebrochen. Allein das rasche Vorgehen der Westmächte, welche den Piräus besetzten und die griechische Kriegsflotte wegnehmen ließen, zwang den König, auch diesmal sich dem Stärkeren zu fügen und unbedingte Neutralität zu geloben. Das Anwachsen der Staatsschuld gab einen Vorwand, um die Besetzung des Piräus auch nach dem Pariser Frieden fortdauern zu lassen. Inzwischen hatte die Härte, womit die Französischen und englischen Befehlshaber auf Festland und Inseln ihre egoistischen Interessen vertraten, auch im königlichen Hause Unzufriedenheit und Groll wachgerufen und dieser Stimmungswechsel dem König vorübergehend eine gewisse Popularität verschafft, allein der unglückliche Ausgang des Krieges wirkte ebenso erkältend, wie die Verschärfung der finanziellen Schwierigkeiten. Dazu kam, daß infolge gewisser Enthüllungen der englischen Blaubücher neuerdings das alte Mißtrauen des Königs gegen die Freundschaft des Czaren rege und neuerdings Annäherung an England angestrebt wurde. Dies beschleunigte die Katastrophe. Als den eigentlichen Grund der Mißliebigkeit der bairischen Dynastie bezeichnet aber eine 1862 in Paris erschienene, das Programm der Opposition darlegende Flugschrift, daß O. weder von Religionswechsel noch von wahrhaft constitutionellem Regiment wissen wolle. „Er ist heute noch der nämliche, der er bei Beginn seiner Regierung war, ein hartnäckiger Katholik und ein halsstarriger Gegner der Freiheit; von den Griechen hat er nichts angenommen als die Fustanella.“ Als ein Student Drusios im September 1861 auf die Königin Amalie ein Attentat ausführte, fehlte es nicht an wunderlichen Kundgebungen von Sympathie für den exaltirten Mordbuben, der mit Harmodius und Aristogeiton verglichen wurde. Bald da, bald dort brachen Militärrevolten aus und konnten nur mit Mühe unterdrückt werden. O. hoffte durch [699] Nachgiebigkeit, durch Zugeständnisse die auf Rußland vertrauende Opposition zu entwaffnen, umsonst! Während einer Rundreise des Königs brach unter Führung des Generals Theodor Grivas im October 1862 in Akarnanien ein Aufstand los, die Truppen in Athen folgten diesem Beispiel, eine provisorische Regierung verfügte die Absetzung des Königs und die Einberufung einer constituirenden Nationalversammlung. Die Regierungspartei setzte fast gar keinen Widerstand entgegen, nur zwei Getreue fielen im Kampfe für einen Fürsten, den die Griechen selbst in’s Land gerufen, dem sie Treue geschworen hatten, der bei allen Mängeln des Regiments den wohlgesinnten Freund seines Volkes nie verleugnet hatte. Als das Königspaar rasch nach Athen heimkehrte, begaben sich die Vertreter der Mächte auf das Königsschiff, aber nur um den Rath zu geben, sich vor der Macht der Verhältnisse zu beugen und Blutvergießen zu vermeiden. Da die Matrosen meuterische Gesinnung verriethen, wurde dem König ein englisches Schiff zur Verfügung gestellt; darauf beschränkte sich aber auch die ganze Hilfe der „garantirenden Schutzmächte“. Nachdem O. in einer von seiner Gutherzigkeit, aber auch von seiner Energielosigkeit zeugenden Proclamation von den Griechen Abschied genommen hatte, kehrte er nach Baiern zurück, kurz nachdem die Eröffnung der Propyläen in München zu begeisterter Feier der griechischen Erhebung Anlaß gegeben hatte. König Max wies dem Bruder die ehemalige fürstbischöfliche Residenz in Bamberg als Wohnsitz an; hier lebte der Entthronte fortan in größter Zurückgezogenheit, nur ein paar Hellenen theilten die Verbannung ihres Fürsten. Zu förmlicher Abdankung war jedoch der sonst so Nachgiebige nicht zu bewegen, und er erneute seinen Protest, als die griechische Nationalversammlung die Ausschließung der bairischen Dynastie und die Berufung des Prinzen Georg von Dänemark decretirte. Ebenso wenig wollte er aber von Gewaltmitteln zur Wiedergewinnung der Krone hören, er hoffte bis zu seinem letzten Lebenstage, daß die trotz alledem so innig geliebten Hellenen ihn freiwillig wieder zurückrufen würden, und es waren alle Maßregeln getroffen, daß im gegebenen Augenblick sofort die Rückkehr nach Griechenland angetreten werden könnte. Am 26. Juli 1867 sank er in ein frühes Grab. –

Ueber die Wahl des Prinzen Otto von Baiern zum König von Griechenland (1832). – Maurer, Das griechische Volk in öffentlicher, kirchlicher und privatrechtlicher Beziehung vor und nach dem Befreiungskampf bis z. 31. Juli 1834 (1836). – Le Roi Othon et la Grèce (1862). – Mendelssohn-Bartholdy, Die Verwaltung König Otto’s v. Griechenland und sein Sturz, in den Preuß. Jahrbüchern, IV, 365. – Heigel, Ludwig II., König von Bayern, 149 (1872). – Παπαμιχαλόπουλος, παρὰ τὸν τάφον τοπυ βασιλέως Ὄδωνος (1883). – Söltl, Ludwig I., König von Baiern und Graf von Armansperg (1886). – Privatbriefe Heydeck’s, Maurers und Abel’s.