ADB:Schlüter, Andreas

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Artikel „Schlüter, Andreas“ von Robert Bruck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 184–194, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schl%C3%BCter,_Andreas&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 06:23 Uhr UTC)
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Schlüter *): Andreas Sch., Bildhauer und Baumeister, nach älteren Quellen angeblich am 20. Mai 1664 in Hamburg als Sohn des Bildhauers Gerhart Schlüter geboren, am 22. Mai 1664 getauft, soll in früher Jugend mit seinem Vater nach Danzig gekommen und dort zu einem David Sapovius, dessen Künstlerpersönlichkeit noch nicht festgestellt ist, in die Lehre gegeben worden sein. Nach neuen, erst auszugsweise veröffentlichten Forschungen (Baurath Cuny, Elberfeld) liegt eine Verwechslung des häufig vorkommenden Namens „Schlüter“ vor. Cuny weist einen Andreas Schlüter „den Aelteren“ als in Danzig von 1640–1652 thätig, nach, dessen Arbeiten an dem 1640 für eine Familie von Enden erbauten Patricierhause Jopengasse 1 und an dem 1652 für den Kaufherrn Eustachius Holwell errichteten Hause, Brotbänkengasse 28, Medaillons und Büsten von antiken Helden, Kriegertypen, Weisen und Königen zur Kunstart des Sohnes, des jüngeren Andreas Schlüter hinüberleitet, von dem er annimmt, daß er um 1640 in Danzig geboren sei. Die bisherige Annahme des Geburtsdatums des Meisters stützt sich auf eine Eintragung im Kirchenbuch von St. Michaelis in Hamburg vom 22. Mai 1664: „Andreas Schlüter, ehelicher Sohn des Gerhart Schlüter, Gevattern Andreas Kröger, Jürgen Nellcken und Katharina Tidtkens.“ Demgegenüber fehlt es nicht an Bekundungen, die Andreas Sch. als Danziger bezeichnen. In dem Danziger „Gesellen-Register der Maurer, Steinhauer, Bildhauer und Steinmetzen von 1644–76“ fand E. Blech auf Blatt 12 den Eintrag: „Anno 1656 d. 9. Maij Andres Schliter, Steinhauer ein Dantziger, auß d’ Lehr.“ Als Danziger bezeichnet ihn 1702 der mit dem Meister lange Jahre hindurch bekannte Kupferstecher Peter Schenk, auf einem Schlüter’s Entwurf zum Umbau des Berliner Schlosses darstellenden Blatte „Ad Nobiliss. Schluterum Gedan“, ferner nennt ihn eine ihm zu Ehren 1704 geschlagene Denkmünze einen Danziger. Gegen die Annahme, daß Sch. erst 1664 geboren sei, kann auch die Stelle eines Briefes vom 27. Juli 1706 angeführt werden, den er in Angelegenheit der für ihn so unglücklichen Münzthurmkatastrophe an seinen Gönner, den Schloßhauptmann Freiherrn v. Printzen geschrieben hat: „Ich habe über die 30 Jahre mit großen Arbeiten Tag und Nacht zugebracht, und ist unter all denen Werken kein Fehl begangen, auch habe ich in Berlin schon erwiesen, daß man ja wohl sehen kann, ob ich ein Meister gewesen, da ich hieher gekommen bin, und nun muß ich …“ u. s. w.

Nach beendigter Lehrzeit 1656 wird Sch. wohl altem Zunftgebrauche folgend auf die Wanderschaft gegangen sein, von der er dann wieder in seine Vaterstadt zurückkehrte. Als Jugendwerk Schlüter’s wird den Monum. Polon. historica Tom IV zufolge die Bildhauerarbeit im Pelpliner Dom vom Jahre 1675 bezeichnet, ein Fundatorenepitaphium der Herzöge Sambor und Mestwin. Auch könnte an eine Mitarbeit beim Baue der von 1678–81 von Barthel Ranisch ausgeführten und 1683 geweihten St. Johanniscapelle, meist Königscapelle genannt, gedacht werden. Nach 1684 ist Sch. für den König Johann Sobieski von Polen beschäftigt und könnte vermuthungsweise (Gurlitt) an der erneuten Ausschmückung des Schlosses Willanow bei Warschau und in geringerer [185] Weise an dem Ausbau des Palais Krasinski in Warschau betheiligt gewesen sein. Bei den Arbeiten in Danzig und bei diesen Palastbauten in Warschau dürfte sich der Meister die große Schulung, Geschicklichkeit und Erfahrung im Bauwesen angeeignet haben, die ihm dann später bei seinen Berliner Bauten so ausgezeichnet zu statten kamen. Bei dem Schlosse Willanow kämen dann zumeist die Vordermauer nach dem Hofe und die Verbindungsgänge für Sch. in Betracht. Die auffallende Steigerung der Formengebung am Neubau des Schlosses Willanow gegen die frühere Bauart ist für die Kunstart Schlüter’s zum Theil sehr bezeichnend. Besonders erweist sie sich in zahlreichen Vorsprüngen, triumphbogenartigen Thoren, Blendarkaden, Thüren mit Hermengewänden, abgebrochenen Giebeln und Reliefmedaillons, Nischen, Büsten auf Consolen, zahlreichen Reliefs, vor allem aber in der Ausbildung der Thurmhelme. Vorzugsweise müßte hier, wie auch beim Palais Krasinski, der plastische Schmuck für die Schlüter’sche Kunst untersucht werden.

Am 25. Juli (4. August) 1694 trat Sch. als Hofbildhauer und Lehrer an der neu zu gründenden Bildhauer-Akademie in kurbrandenburgische Dienste und wurde 1695 einer der Akademie-Directoren. Er unternahm im J. 1696 auf Kosten des Kurfürsten eine Reise nach Italien zum Ankauf von Abgüssen. Die hier in Turin, insbesondere aber in Rom, das damals unbezweifelt neben Paris als erste Kunststadt der Welt galt, empfangenen Anregungen wirken später bei seinem Berliner Schloßbau nach. Das gesammte Bauschaffen Schlüter’s in seiner ganzen Auffassung und die untrennbare Verbindung der Baukunst mit einer ausgedehnten und vielseitigen Verwendung von plastischen Arbeiten beweist es nur zu deutlich, daß Sch. von jener denkwürdigen Blüthe der Barockkunst Italiens nicht nur bedeutsamen Einfluß erhielt, sondern auch, daß er mit Begeisterung in das Wesen dieser Kunst eingedrungen war. Schlüter’s ältestes Werk in Berlin ist die Statue des Kurfürsten Friedrich III., den er in ausschreitender Stellung, in der Tracht römischer Imperatoren, barhaupt mit weit nach rückwärts wallendem Haare darstellte. Johann Jacobi hat 1697 die Statue in Bronce gegossen. Ein Handzeichnungsband der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden enthält einige Blätter, Entwürfe für Triumphbogen, bei denen diese Statue als Bekrönungsfigur gedacht ist. Es fanden verschiedene Versuche zur Aufstellung der Statue statt. Zuerst stand sie im Hofe des neuerbauten Zeughauses, schließlich schenkte sie König Friedrich Wilhelm III. nach Königsberg, wo sie vor dem Schlosse endgültig ihren Platz fand. Der Statuensockel, den früher Sklavengestalten tragen sollten, stammt aus neuerer Zeit von dem Bildhauer Koch.

Friedrich’s Regierungsantritt hatte für die Berliner Architektur zuerst keine einschneidende Veränderung im Vergleich zur Baukunst in den letzten Lebensjahren seines Vorgängers, des Großen Kurfürsten, gebracht. Die maßvolle, oft auch nüchtern zu nennende holländische Bauweise, deren Hauptmeister in Berlin der 1695 verstorbene Johann Arnold Nering war, blieb für die Hauptbauten jener Zeit bestimmend, und in ganz gleicher Richtung arbeiteten Michael Mathias Smids († 1692) und Martin Grüneberg († 1707). Schlüter’s Auftreten als Architekt brachte hier einen großen entscheidenden Wandel. Als er kurz vor 1697 den Auftrag erhielt, für die Postverwaltung, deren Leitung Graf Kolbe v. Wartenberg übertragen worden war, ein neues Gebäude zu errichten, erbaute er die sogenannte „Alte Post“ an der Ecke der Königstraße und des Spreeufers in durchaus barock empfundenen Formen. Der Bau setzt sich in seinen ganz selbständig behandelten Ordnungen, mit seinen nach rein malerischen Grundsätzen in Felder abgetheilten Wandflächen, den interessant gebildeten Fensterdocken, dem Kurvenlinien bevorzugenden [186] Hauptgesims und insbesondere der ganzen bildnerischen Ausstattung in bewußten Gegensatz zu der bis dahin in Berlin herrschend gewesenen classicistischen Richtung, die ihre Parole von Paris und Holland empfing. Der Bau, 1889 abgetragen, ließ aber doch erkennen, daß Sch. in erster Linie Bildhauer war, kein geschulter Fachmann der Baukunst. So hervorragend als plastische Leistungen die acht Statuen griechischer Gottheiten über der hohen Attika von Schlüter’s Schule, die Rundbilder (Allegorien von Tugenden) als Fassadenreliefs, die Stuckdecken im Hauptgeschosse waren, so fehlte doch der Fassade die klare Gestaltung und die aus dem Grundrisse sich wie von selbst ergebende architektonische Gliederung. Dieser Widerspruch im künstlerischen Schaffen Schlüter’s, der Umstand, daß er seine Bauten mehr als Bildhauer, denn als praktisch und vor allem technisch geschulter Architekt ausführte, wurde ihm dann auch im J. 1706 bei dem Baue des Münzthurmes zum Verhängniß. Seine hervorstechenden Eigenschaften künstlerischen Bildens erzeigen sich jedoch deutlich bereits am Bau der „Alten Post“; sie bestehen nach Gurlitt in „dem unbefangenen Formendrang, der Lust an reichen, überschwänglichen Gebilden, dem Vorwalten des Empfindens über das Erwägen und der sorglosen Unmittelbarkeit des Schaffens.“ – Das kann man auch an der Baugeschichte und der Ausschmückung des Zeughauses in Berlin gewahren, an der Sch. von 1698–1699 thätig war. Von dem Einflusse Schlüter’s in baulicher Gestaltung ist am Zeughause nichts mehr wahrzunehmen. Dem Baue (Grundsteinlegung am 28. Mai 1695) lag ursprünglich ein Entwurf des französischen Architekten Blondel zu Grunde, der während der Ausführung durch die aufeinanderfolgenden Bauleiter Nering, Grüneberg, Sch. und de Bodt mehrfach abgeändert wurde. Schlüter’s plastische Arbeiten daran zählen unbestritten zu dem Besten, was jemals deutsche Bildhauerkunst geleistet hat. Es sind die Schlußsteine des Erdgeschosses 1. an der Außenseite weitausladende reich verzierte Helme (kriegerischer Glanz, Ruhm, Ehre), 2. im Hofe die Masken sterbender Krieger (Grausen des gewaltsamen Todes), 3. die Schlußsteine über den seitlichen Thoren und dem der hinteren Achse, Meerweiber und Gorgonenhäupter (Krankheit, Pestilenz, Elend). Wahrscheinlich von Sch. sind ferner die Verdachungen über den Fenstern des Hauptgeschosses, die Holzschnitzereien an einigen vor der Königskrönung Friedrichs entstandenen Thüren und vielleicht auch die Metopen des Kranzgesimses. – Im J. 1698 beginnt Schlüter’s Thätigkeit am Berliner Schloßbau, am 2. November 1699 wird er an Stelle von Grüneberg leitender Architekt und zum Baudirector ernannt, später, vom Jahre 1705 ab, führte er den Titel Oberschloßbaudirector. Es war dieses Jahr, in dem Sch. auf der Höhe seines Ruhmes und seiner Erfolge am Berliner Hofe stand; der König gewährte ihm (2. Juni 1705) in Anerkennung seiner geleisteten Dienste 8000 Thaler Gratifikation. Die Aufgabe Schlüter’s beim Schlosse, dessen ursprünglichen italienischen Bauplan er abänderte, war kein völliger Neubau, sondern es handelte sich für ihn darum, die verschiedenen einzelnen unzusammenhängenden, um den kleineren Schloßhof herumliegenden Theile zu einem harmonischen Ganzen zu verschmelzen. Ursprünglich stand hier die vom Kurfürsten Friedrich II. von 1442 bis 1451 erbaute Burg, die 1538 in Formen der Renaissance, die zum Theil dem Hauptflügel des Torgauer Schlosses stilistisch entsprachen, in ein fürstliches Schloß umgewandelt worden war. Zuerst war allein die Umbauung des ersten Schloßhofes vorgesehen, später und zwar durch Schlüter’s Nachfolger am Schloßbau, Eosander v. Goethe, ausgeführt, kam die des zweiten Schloßhofes hinzu. Von Sch. stammen die Nord-, Ost- und Südseite des kleinen Schloßhofes mit ihren Portalen und Treppenhäusern, sowie die von Portal II und [187] IV nach der Spree zu liegenden Theile der Fassade am Schloßhofe und am Lustgarten. Die äußere Gestaltung der vierten Seite des Schloßhofes, woselbst die Trennungsbauten zwischen dem zweiten und ersten Schloßhofe noch von früherer Bauperiode herstammen, blieb unberührt. Das für Sch. bezeichnendste Werk am Aeußeren des Schlosses sind die Portale I und V. Das Portal I, gleichsam als Triumphbogen errichtet für den am 18. Januar 1701 in Königsberg gekrönten und am 6. Mai in seine Residenz Berlin einziehenden König zeigt auf hohem Sockel zwei Paar Riesensäulen mit reich durchgebildeten Capitälen. Darüber liegt ein schweres Gesims auf, dessen Ausbildung aber mit den Linien der Rücklage nicht übereinstimmt. „Es offenbart sich in dem Bau ein ins Große vorschreitender Künstlergeist, ein mächtiges Wollen, dem aber das thatsächliche Können nicht überall entspricht. Man merkt die fehlende Schule und die aus dieser ersprießende Gleichgültigkeit gegen die überlieferte Form und gegen das Abwägen der Baumassen und der Profile. Nach einem Stiche Schenk’s (Kunsthändler und Kupferstecher Peter Schenk aus Elberfeld) wollte Sch. die Säulen sogar noch mit Blattgehängen in der Mitte umwinden. So offenbart sich ein Festgeist, eine freudige Heiterkeit in diesem Bautheile, welche mit dem wuchtigen Ernst Roms und der Palazzofassade nichts zu thun hat.“ (Gurlitt.)

Am 11. December 1700 erhielt Sch. den schriftlichen Befehl zur Ausgestaltung der Innenräume des Schlosses. Es dürfte wohl der dem Portal I gegenüberliegende Schloßplatzflügel zuerst in Angriff genommen worden sein, denn es galt vor allem, die Prachträume für den königlichen Hofhalt zu vermehren. Es sind die Säle des oberen Geschosses der Schloßfassade gegen den Schloßplatz, desgleichen die Räume zwischen dem Treppenhaus und diesem Flügel, als Hauptraum der Saal über Portal I, die Stuckdekorationen der Decke in der Stube östlich vom Saale und der große Vorsaal gegen den Schwarzen Saal zu, Kamine und Eichenthüren; ferner die ehemalige Schloßcapelle mit der Orgelempore, jetzt Capitelsaal, 1706 durch Eosander in ihrer Ausdehnung verkürzt, und die vier großen Reliefgruppen, Welttheile als Supraporten, die Pilaster mit reichen korinthischen Capitälen, das Gurtgesims und die Thüren im Rittersaal. Im Schloßbau hat Sch. das großartigste Denkmal der Barock-Architektur in Deutschland geschaffen. Die Repräsentationsräume des Schlosses zwischen Schweizersaal und Rittersaal sind nach Gurlitt nicht von Sch. selbst ausgestattet, während Voß deren Innendekoration als Schlüter’sche Leistung in Anspruch nimmt.

Neben der Ausschmückung des Inneren des Schlosses beschäftigt Sch. der Ausbau des Münzthurmes, auf den Grundmauern eines an der Nordwestecke des Schlosses bereits vorhandenen Thurmes, der dazu bestimmt war, die Behälter für die Wasserkünste des Lustgartens und im oberen Geschoß ein vom König für 20 000 Thaler in Holland gekauftes Glockenspiel zu tragen. Vom Jahre 1701 stammt Schlüter’s vom Könige genehmigter Entwurf, 1702 wurde der Bau begonnen. Auf den beiden stehen gebliebenen unteren Geschossen sollten sich drei verjüngende Obergeschosse korinthischer Ordnung erheben und das Ganze durch eine die Königskrone hochhaltende weibliche Figur seinen Abschluß finden. Aber schon am Ende des Baujahres 1703 zeigten sich, da die alte Fundamentirung zu schwach war, gefahrdrohende Erscheinungen, Risse und Ablösungen. Hierauf legt Sch. dem Könige neue Pläne und ein Modell vor, wobei eine abermalige Verstärkung von unten herauf vorgesehen war. Auch dieser veränderte Entwurf stellt dem Ideenreichthum und dem Compositionstalente Schlüter’s das glänzendste Zeugniß aus. Der neue Thurm sollte noch höher als der erste werden. Da die Basisbreite durch die Verstärkungen vermehrt [188] war, erhielten die Säulenhallen in den oberen durchbrochenen Geschossen eine sehr geschickte Veränderung. Auch das Wasserschloß am Fuße des Thurmes wurde insofern durch die Verstärkungen verändert, als durch sie eine riesenhafte Nische entstand. Diesen Theil beabsichtigte Sch. mit einem Gigantensturz theils in freien Figuren, theils in Hochrelief zu schmücken. An der Ausbildung der Rückfront mit dem mächtig aufgethürmten Steinpfeiler und der Ausgestaltung der altanartig abgeschlossenen Seitenflügel merkt man jedoch deutlich, wie Sch., durch die Nothlage gezwungen, zu ziemlich gewaltsamen Mitteln seine Zuflucht nahm. Bis Mitte des Jahres 1706 war der Thurm auf 60 Meter Höhe fortgeführt, als eine erneute erhebliche Senkung desselben – er hing 21/2 Fuß nach der Schloßfreiheit und 11/2 Fuß nach dem Lustgarten über – die bis dahin verheimlichte Gefahr nicht mehr länger übersehen ließ. Am 25. Juni 1706 1 Uhr Nachts ließ Sch. den Abbruch des Thurmes beginnen und reichte einen während der furchtbar aufregenden Zeit des Abbruches skizzenhaft angefertigten neuen, vierten Entwurf ein, der aber fast bis ins Detail auf Nering’s alten Entwurf zurückging. Die vom Könige über den verfehlten Bau des Münzthurmes eingesetzte Untersuchungs-Commission, Eosander v. Goethe, Grüneberg und Professor Leonhard Sturm von der Universität Frankfurt a. O. entschied zu Ungunsten Schlüter’s; 1707 wird er als Baudirector bereits „hinter“ seinem Nachfolger Eosander aufgeführt, und 1708 fehlt sein Name ganz in der Liste des Hofbauamtes. Im J. 1706, dem Jahre seines Sturzes, hatte Sch. noch für Friedrich in Freienwalde ein im J. 1722 bereits beseitigtes Sommerhaus, ein Badeschlößchen, gebaut.

In die ersten Jahre seines Berliner Aufenthaltes fällt die Vollendung von Schlüter’s bedeutendster Bildhauerarbeit, der Reiterstatue des Großen Kurfürsten. Bereits im J. 1698 erfolgte unter Schlüter’s Leitung die Herstellung des für den Guß bestimmten Modells; der Guß selbst fand am 2. November 1700 durch Johann Jacobi statt, am 23. Juli 1703 wurde die Statue auf provisorischem Sockel feierlich enthüllt. Die Eckfiguren, „Sklaven“, des jetzigen Sockels waren bereits 1702, also im ersten Entwurfe Schlüter’s vorgesehen und wurden von dessen Gehülfen Nahl, Herfort, Henzi und Backer verfertigt; von Nahl und Backer wurden dann noch nach den Entwürfen des Malers Wentzel die Basreliefs an den Seiten des Sockels modellirt. Sch. diente bei jener Arbeit als Modell ein Pferd des Markgrafen Philipp Wilhelm von Schwedt, welches Maler Merck in der Größe und mit der fast gleichen Beinstellung wie an der Statue malte. Hiernach wurde ein vergoldetes Gipsmodell mit dem Reiter verfertigt und dieses so lange, durch eine Verdachung geschützt, auf der langen Brücke aufgestellt, bis das Original fertig war. Der Kurfürst ist in flatterndem Mantel über einem reich geschmückten Panzer dargestellt, der unbedeckte Kopf wendet sich nach links, die Rechte hält den Feldherrnstab, die Linke die Zügel; fest und gerade sitzt der Reiter auf dem ausschreitenden Pferde. Roß und Reiter sind wie eine einzige Gestalt, wie von gleichem Drange nach vorwärts beseelt. Trotz der Porträthaftigkeit, dem mächtigen Lockenhaar, der kühn geschwungenen Nase, dem massiven Kinn, die dem Kopfe des Fürsten den Ausdruck kühnsten und festesten Charakters verleihen, erhebt sich Sch. in diesem Werke doch zur Bildung eines höchsten Typus. Nur ein Reiterdenkmal ist in seiner Auffassung, Gestaltung und der Größe der Conception mit Schlüter’s Großem Kurfürsten zu vergleichen, Verrocchio’s Colleoni. Hier der Typus des kühnen Condottiere, dort in Berlin der Typus des zielbewußt der Vergrößerung und dem inneren Ausbau seines Landes zustrebenden Herrschers. Das Standbild geht in seiner Haltung in letzter Linie auf das Reiterbild Marc Aurels in Rom zurück, von dem die [189] Akademie der Künste in Berlin zu Schlüter’s Zeit einen Abguß besaß. Für das Standbild kommen weiter die französischen Königsstatuen Louis XIV. von Girardon in Paris und Coysevox’ ähnliche Statue, welche 1685 in Rennes aufgestellt wurde, in Betracht; ferner (nach Voß) die beiden Reiterdenkmäler Ranuccio’s und Alessandro Farnese’s von Mocchi in Piacenza, die Sch. auf seiner Reise nach Rom gesehen haben kann.

Schlüter’s Antheil an der Ausschmückung des Schlosses zu Charlottenburg bestand nur in bildhauerischen Leistungen, die zuerst bei Gurlitt kritisch gesondert und von ihm folgendermaßen einzeln aufgeführt werden (S. 121): „Ein ovales Relief am Kamin des alten Nordwestzimmers, vier große, später hierher versetzte Reliefs in den beiden Sälen unter dem Thurme, die Pilaster und das Gebälk mit schönem Kinderfries, großartigen naturalistischen Blumenvasen, breit modellirten und lebhaft bewegten Zwickelfiguren im ovalen Saale des Obergeschosses. Ferner aus den zwischen 1701 und 1704 erbauten Schloßtheilen, die ganze Einrichtung der drei Zimmer im Erdgeschoß, welche an die Südostecke des alten Baues anstoßen, die schönen eigenartig profilirten Deckengesimse, die prächtigen mit ovalen Reliefs geschmückten, aber etwas flüchtig ausgeführten Sopraporten, der Kamin im mittleren Raume, ein flott modellirtes Schmuckstück, das Relief im Speisesaal, Flora und Zephir, zwei Reliefs in den Arbeitszimmern Friedrich Wilhelm’s III. im 1. Stock, Moses und die Schlange, und die heiligen drei Könige.“ Dagegen verneint Gurlitt entgegen Nicolai, daß die Deckenfiguren des Audienzzimmers König Friedrich’s I. von Sch. durchgeführt seien, vielleicht nur von ihm entworfen. – Sch., der die ganze Kunstrichtung Berlins in seiner Zeit auf das stärkste durch sein geniales Künstlerthum beeinflußte, so daß seine Art selbst in dem gleichzeitigen Kunstgewerbe Berlins zu spüren ist und man so mit Recht von einem Schlüter’schen Stil sprechen kann, hat auch eine Anzahl kleinerer Arbeiten ausgeführt, unter denen das Grabdenkmal für den Hofgoldschmied des Kurfürsten Daniel Männlich in der Nikolaikirche zu Berlin vom Jahre 1700 eine bemerkenswerthe Stellung einnimmt. Ueber einem Thore mit schräg angeordneten Gewändepfosten, deren Schlußstein als Inschrifttafel benutzt ist, liegt eine geschweifte Barockverdachung auf, über deren Mitte sich eine Urne mit den Reliefbildnissen des Ehepaares Männlich erhebt. Quer hinter der Urne liegt in einen weiten Mantel gehüllt der Tod, der ein nacktes Kind erfaßt hält, und zu seinen Füßen ruht, halbaufgerichtet, ein weinender Genius. Der grausige Gegensatz zwischen dem Tod und dem blühenden Leben ist hier ganz dem Zeitgeschmacke entsprechend treffend zum Ausdruck gebracht. Besonders bemerkenswerth ist die Darstellung des Todes, der nicht als Knochenmann, ein für die Plastik durchaus ungeeignetes Motiv, sondern wie mit sehniger Haut überzogen zur Erscheinung gebracht ist. Zu den kleineren Arbeiten gehören auch zwei Porträtbüsten: die Marmorbüste Friedrich’s als Kurfürst mit Allongeperrücke, früher in Charlottenburg, jetzt im Berliner Schlosse, und die 1 m 20 cm hohe Büste des Prinzen, späteren Landgrafen Friedrich von Hessen-Homburg, als decorativer Schmuck eines Schloßthores in Homburg v. d. Höhe gefertigt, nach einer Inschrift von Jacobi gegossen.

Nach Schlüter’s Entwurf sind einige Sarkophage gearbeitet, die in der Domgruft in Berlin aufgestellt sind. Zwei kleinere, auf Löwenfüßen ruhende, mit Wappen an den Stirnseiten für die in jugendlichem Alter 1701 und 1704 verstorbenen Kinder des Markgrafen Philipp Wilhelm von Schwedt, und der prächtiger ausgestattete Zinnsarkophag des 1711 verstorbenen Markgrafen selbst, der erst 1714 fertiggestellt war. In den vorzüglich gearbeiteter Reliefs der Langseiten (der Markgraf in Begleitung von Mars und Mercur), in den [190] Rüstungs- und Waffenstücken, den Kartuschen und sonstigem Beiwerk zeigt sich Schlüter’s geniale Hand auch für Kleinplastik. Künstlerisch noch höher stehen die beiden, von Jacobi gegossenen, Sarkophage für König Friedrich I., zu dessen Lebzeiten bereits entworfen, und für die 1705 verstorbene Königin Sophie Charlotte. Der reich geschmückte Sarkophag der Königin trägt an den Seiten auf die Tugenden der Königin sich beziehende Reliefs und steht auf vier als Adler ausgebildeten Füßen; knieende Rosse, das Wappenthier der Königin, halten an den Längsseiten Inschriftkartuschen. Am Kopfende des Sarges heben zwei weibliche Genien ein gekröntes Reliefbrustbild der Königin hoch, das von dem sich über den ganzen Sarkophag ausbreitenden Krönungsmantel eingefaßt ist. Ist hier der Glanz und der Reichthum des Lebens dargestellt, so ist der Gegensatz dazu in geradezu packender Form ausgedrückt durch die am Fußende des Sarges sitzende, in ein Leichentuch eingehüllte Figur des Todes, im Begriffe, den Namen der Königin auf die eherne Tafel der Geschichte zu verzeichnen. Das Gegenstück, jedoch noch reicher ausgeschmückt, ist der Sarkophag König Friedrich’s I. Am Kopfende lehnen zwei weibliche Gestalten, als Mark Brandenburg und Borussia gekennzeichnet, die das gekrönte und ebenfalls von dem über den Sarkophag wallenden Krönungsmantel eingefaßte Reliefbrustbild halten. An den Seiten des Sarkophages sind in Reliefs die Hauptthaten des Königs zur Darstellung gebracht, während Inschriften auf den von Adlern getragenen Kartuschen die Verdienste des Königs rühmen. Zwischen Trophäen an der Vorderseite sind die wichtigsten vom Könige getragenen Orden abgebildet, der Schwarze Adlerorden, der Hosenbandorden und der Elefantenorden. Wie bei dem Sarkophage der Königin ist auch hier bei dem des Königs im Gegensatze zu Ruhm und Pracht der „Vergänglichkeit“ Ausdruck verliehen durch eine am Fußende des Sarges sitzende, weinend das Gesicht in die aufgestützten Hände verbergende Frauengestalt, zu deren Seite ein Seifenblasen machender Putto steht.

In einer Zeichnung ist uns noch ein Epitaph-Entwurf Schlüter’s erhalten, ein Kupferstich von Heckhenauer, der in der linken unteren Ecke die Worte „A. Schlüter delineavit“ zeigt. Ueber einem Sarkophag in stark geschweifter Profilirung sieht man an der Wandfläche das Ovalbildniß des Verstorbenen mit einer Bekrönung aus Zweigen und eine um einen geflügelten und bekrönten Schädel gelegte Drapirung. Darunter befindet sich die Inschrifttafel. Auf die Inschrifttafel lehnt sich rechts vom Sarkophag eine trauernde, das Gesicht klagend mit der rechten aufgestützten Hand verhüllende Frauengestalt. Auf dem Sarkophage stehen eine erloschene antike Lampe und links eine Urne mit einem Lorbeerzweig. Auf der Urne ist das Wappen derer v. Bieberstein zu sehen. Das Epitaph war für Mauritius Damianus Marschall v. Bieberstein bestimmt, welcher 1702 starb. Ferner zählen zu Schlüter’s kleineren Arbeiten die Kanzel der Marienkirche (1703), deren Predigtstuhl von zwei Konsolen haltenden Engeln getragen wird, und die in ihrem Aufbau und ihrer Gestaltung eine Verwandtschaft mit belgischen Arbeiten bekundet, und sein Entwurf, Zeichnung, vom Jahre 1706 für den hiernach 1708 vollendeten Altar in der Nicolaikirche zu Stralsund. Sch. verwendete in geistvoller Weise eine das Mittelschiff der Kirche theilende Schranke, die aus sechs Säulen mit einem darüber ruhenden Querbalken besteht. Die Zwischenfelder der äußersten Säulenpaare sind mit schmiedeeisernen Gittern gefüllt, das der Mitte enthält den Altar, und die beiden zu Seiten des Altares sind als Thüren wie bei einem Lettner gedacht. Den auf den Säulen aufliegenden Balken benutzte Sch. beim Altar als Architrav, stellte vor die Säulen noch je ein Paar, welche Rundgiebelansätze tragen, zwischen [191] denen eine von Phalert ausgeführje Schnitzerei, ein Abendmahl, so angebracht ist, daß sie an einem darüber befindlichen, mit Ketten an einem unter dem Gewölbe eingespannten Balken befestigten Crucifixus hängt. An den Säulenfüßen stehen Postamente mit Engelstatuen, die gleichsam als Wappenhalter das Altarbild, eine geschnitzte Wolkenglorie mit dem Auge Gottes, flankiren.

Von dem Jahre seines Sturzes 1706 bis zum December 1712 sind keine Nachrichten über Sch. vorhanden. Nur ein Bau ist sicher in jener Zeit von ihm geschaffen worden, das 1712 als vollendet bezeichnete Gartenhaus für den damaligen Geh. Rath und Staatsminister Ernst Bogislav v. Kameke in der Dorotheenstraße zu Berlin, jetzt Eigenthum der Royal-York Loge. Die malerisch gestalteten Fassaden mit zum Theil, wohl bewußt, von allen akademischen Regeln abweichenden Formen, verrathen mancherlei architektonische Schwächen, die Sch. geschickt durch meisterhaft ausgeführte plastische Arbeiten zu verdecken gewußt hat. An ein barock geschweiftes Mitteltheil lehnen sich niedriger gehaltene Seitenflügel an, die aber nicht organisch mit ihm verbunden sind, da nur das Gesims des Erdgeschosses in den Mittelbau übergeht, der durch theils verkröpfte, theils um die Ecken sich wiederholende Pilasterstreifen gegliedert ist. Plastische Gardinen bilden den oberen Abschluß der Seitenflügelfenster. Das Gebäude hat keine Attika, sondern das Dach schneidet scharf ab und auf ihm stehen lebhaft bewegte Figuren. Der künstlerische Gesammteindruck des Baues wird durch die bildhauerischen Arbeiten sehr erhöht. Von diesen sind besonders hervorragend die oben erwähnten Bekrönungsfiguren der Fassaden und die Kartuschen, sowie die Puttengestalten an der Gartenfassade. Reizvoll ist der Hauptsaal des Gebäudes decorirt. Während das Mittelfeld für ein Gemälde bestimmt war, schmückt Kartuschenwerk die große Kehle. Das vorzüglichste der Saalausstattung aber sind an den drei Seiten und in den Zwickeln der vierten die Darstellungen der vier Welttheile; Arbeiten mit Gestalten voll sprühenden Lebens und prachtvollen Bewegungen, welche die im Schlosse an genialer Gestaltung noch fast übertreffen. Wahrscheinlich von Sch. in jener Zeit entworfen, aber von seinem Schüler Martin Heinrich Böhme verändert ausgeführt, ist das Haus von Creuz in der Klosterstraße zu Berlin. Nach einem bei Jeremias Wolff in Augsburg erschienenen Stiche wird ein Stall, in den Formen dem Kameke’schen Gartenhaus verwandt, als Werk Schlüter’s bezeichnet; wo das Gebäude stand, ist unbekannt. Viel von der Eigenart Schlüter’s hat auch das Portal des Posthauses, jetzt im Hofe der kaiserlichen Oberpostdirection in der Königstraße in Berlin. Hervorragende kunstgewerbliche Arbeiten, welche den Schlüterstil oder doch des Meisters Beeinflussung zeigen, und der silberne 66ender Hirsch von Männlich im königlichen Schlosse zu Berlin und der berühmte Nautilusbecher von Bernhard Quippe im Grünen Gewölbe zu Dresden. Vermuthungsweise wird die Mitwirkung der entwerfenden Künstlerhand Schlüter’s bei der Entstehung der 1704 von Johann Jacobi gegossenen hundertpfündigen Kanone „Asia“ angenommen. (Joseph)

Die erste sichere Nachricht über Sch. nach seinem Sturze stammt aus dem Jahre 1713. P. Wallé hat im J. 1901 über Schlüter’s Wirken in Petersburg die Ergebnisse einer Studienreise veröffentlicht und eine Anzahl bis dahin unbekannter Briefe und Berichte vorgelegt. Hiernach erfährt man, daß Sch. im J. 1713 durch Vermittlung des Obersten Jac. Bruce für einen Jahresgehalt von 3000 Rhein. Thaler als Architekt und Lehrer an der Petersburger Akademie in den Dienst des Zaren Peter des Großen trat. Er erhielt als Zeichen der Zufriedenheit des Zaren vom 1. Januar 1714 ab den doppelten Gehalt 5000 Rubel und wird in einem Schreiben des Zaren vom [192] 2. Mai 1714 mit dem Titel „Baudirector“ bezeichnet. Sch. war mit einer Anzahl tüchtiger Handwerker nach Petersburg gekommen. Es wurde ihm eine Wohnung im Sommerpalais angewiesen, damit er in der Nähe des Zaren sei, der ihn häufig in seinem Atelier besuchte. Eine Stelle des Tagebuches des Obersten Bruce, der bei Sch. zeichnete, besagt: „Er hatte zu dieser Zeit eine große Zahl von Geschäften in seiner Hand, indem er Paläste, Häuser, Akademien, Manufacturen, Druckereien u. s. w. baute … Sch. war von schwacher, kränklicher Constitution, und da er überbürdet wurde mit immerwährenden Geschäften, so ward er krank und starb, nachdem er nur ein Jahr in Petersburg gewesen.“ Wenn auch in dem oben erwähnten Schreiben des Zaren vom Mai 1714 zu lesen ist, daß nach den Angaben des Baudirectors Schlüter die Erbauung des kaiserlichen Sommerhauses an der Newa, die Arbeiten für die Wasserkunst an der Fontanka, die Vollendung der Orangerien im Sommergarten erfolgten, und Sch. ferner noch die Errichtung der kleinen kaiserlichen Gartenhäuser in Peterhof übertragen worden war, so kommen außer einigen Bauten in Kronstadt, über die wir nicht näher unterrichtet sind, doch nur das Sommerpalais für den Kaiser an der Newa und die Grotte im Sommergarten für die kurze Schlüter’sche Zeit in Petersburg in Betracht. Sch. war für das erstehende Petersburg wohl in erster Linie mit Entwürfen und Plänen für Bauten beschäftigt, er hat wohl auch, wie Bauerlasse von 1714 darthun, einen nicht geringen Antheil an dem Bebauungsplan der neuen Residenz gehabt, sein Einfluß zeigt sich an Ehrenpforten auf der Festungsseite und auf dem Newski-Prospect (1714), wie bei den architektonisch interessanten Pavillons im Sommergarten dicht an der Newa. Daß die grundlegenden Vorarbeiten für das neue Winterpalais beim Palaste der Kaiserin an der Fontanka und auch für die Akademie bereits von Sch. geleistet worden waren, beweist die rege Thätigkeit, die dann gleich nach Schlüter’s Tode G. Mattarnovy an diesen Bauten ausübte. Neben diesen mannichfachen Aufgaben beschäftigte Sch. das Problem eines Perpetuum mobile, das P. H. Bruce beschreibt und das darin bestand, daß im Inneren eines Messinggestells eine Kanonenkugel durch Federkraft zu beständigem Rundlauf über Hohlplatten gezwungen wurde. Der Zar brachte diesem Modell das größte Interesse entgegen und schloß sich oft mit Sch. in dem Raume, in dem das Perpetuum mobile aufgestellt war, ein. Die complicirte Maschine verursachte jedoch durch Springen der Federn und Räder fortwährende Reparaturen und raubte ihrem Verfertiger viel von seiner kostbaren Arbeitszeit.

Als Sch. nach Petersburg übersiedelte, hatte er seine Familie in großer Armuth und Verschuldung in Berlin zurückgelassen. Die letzten Schriftstücke, welche Schlüter’s Namen enthalten, sind Erörterungen des Senats in Petersburg über rückständige Gehälter der bei den Bauten beschäftigten Gehülfen Schlüter’s, dann Briefe des Gießers Johann Jacobi über das an Sch. gewährte Darlehen und des um Schlüter’s Stelle als Baudirector in Petersburg sich bemühenden Architekten Heinrich Reetz aus Berlin (26. Jan. 1715), schließlich noch die Bittschriften der Wittwe Anna Elisabeth Sch. geborenen Spranger vom 23. Juni neuen Stils an den Zaren und die Zarin um Gewährung eines Gnadengehaltes und des in Petersburg lebenden Sohnes David Schlüter (Mai 1715) an Peter den Großen, um den ansehnlichen Gehaltsrest des verstorbenen Vaters (1125 Rubel) für die mit ihrer Bitte wahrscheinlich abschläglich beschiedene Mutter zu erlangen.

Sch. starb vermuthlich gegen Ende Mai des Jahres 1714 und dürfte sein Grab auf dem alten deutschen Kirchhof, im Norden von Petersburg, gefunden haben. Ein Bildnis des Meisters ist nicht auf unsere Tage gekommen. [193] Die Hauptbedeutung Schlüter’s neben seiner hervorragenden bildhauerischen Thätigkeit besteht darin, daß durch seinen Schloßbau das Barock nach Berlin gebracht wurde. Es verschwand dieser Stil mit ihm wieder nach seinem Sturze, um den Bauten nüchterner Correctheit seines Nachfolgers Eosander v. Goethe das Feld zu lassen.

Hauptquelle, in der alle ältere Litteratur verzeichnet ist: Cornelius Gurlitt, Andreas Schlüter. Berlin 1891 – Ferner: Adler, Andreas Schlüter, Leben und Werke. 1862. – Der Bär. Berl. Blätter f. vaterl. Gesch. u. Alterthumskunde, 1876, S. 83. – Berlin und seine Bauten. Hrsg. vom Architekten-Verein zu Berlin. Berlin 1877. – Oskar Bie, Andreas Schlüter. Westermanns Illustr. Deutsche Monatshefte, 80. Bd. Braunschweig 1896, S. 175 f. und S. 309 f. – E. Blech, Schlüter und Ranisch, zur Danziger Kunstgeschichte. Mitth. des Westpreuß. Geschichtsvereins, Jahrg. 3, Nr. 2, 1. April 1904, S. 34 f. – R. Borrmann, Die Kunstdenkmäler Berlins. – Richard Borrmann, Andreas Schlüter. Das Museum II, 37 f. Berlin u. Stuttgart (1897). – Dr. H. Brendicke, Bericht über Wallé’s Vortrag „Schlüter und Peter der Große“, in Mitth. d. Ver. f. die Gesch. Berlins, Nr. 11. Berlin 1901, S. 123. – Ebenda Nr. 11, 1902, S. 122 F. H. „Ein Mitarbeiter Schlüters, F. H. Weihenmeyer“. – Dr. Max Creuz, Der Schlüterbau der Loge Royal-York. Berliner Architekturwelt VII. Berlin 1905, S. 353 f. – Cuny (Baurath in Elberfeld) in Kölnische Zeitung, Abendausg. v. 26. Febr. 1909. – R. Dohme, Das Kgl. Schloß zu Berlin. Leipzig 1876. – K. E. O. Fritsch, Berlin und seine Bauten. Berlin 1877. – Geyer (kgl. Hofbaurath), Zur Baugeschichte des Kgl. Schlosses in Berlin: I. Der Festsaal des Großen Kurfürsten. II. Die Capelle Friedrichs I. Hohenzollern-Jahrbuch von Paul Seidel, I. Berlin-Leipzig 1897, S. 146–173. – Derselbe, Zur Baugeschichte des Kgl. Sclosses in Berlin: Das neue Schloß Friedrichs I. V. Der weiße Saal. Hohenzollern-Jahrbuch VII, 1903, S. 249–292. – R. Graef, Das Nackte in der Kunst und der Canticus canticorum, ein „Debes me tangere“. Gegenwart 1904. LXVI, S. 154/155. – Dr. Dagobert Joseph, Friedrich des Ersten Kanone „Asia“ ein Werk von Andreas Schlüter und Johann Jacobi in: Der Sammler, Fachzeitschrift für Sammelwesen und Antiquitätenkunde XVII, Nr. 6. – K. F. Klöden, Andreas Schlüter. Berlin u. Potsdam 1855. – Ferdinand Laban, Die Reiterdenkmäler Berlins und Wiens. Berlin 1908. – P. J. Marperger, Historie und Leben der berühmtesten europäischen Baumeister. Hamburg 1711, S. 442, 445 u. 513. – Fr. Nicolai, Beschreibung der Kgl. Residenzstädte Berlin und Potsdam. Berlin 1779. – Dr. v. Oettingen (Prof.), Die bildenden Künste unter Friedrich I. I: Die Kgl. Akademie der Künste in Berlin. Hohenzollern-Jahrbuch IV, 1900, S. 231–246. – Dr. Seidel, Der große Kurfürst in der Plastik seiner Zeit. Hohenzollern-Jahrbuch II, 1898, S. 93–106. – Derselbe, Die bildenden Künste unter König Friedrich I. II: Kunst und Künstler am Hofe. Hohenzollern-Jahrbuch IV, 1900, S. 247–268. – Derselbe, Der von Kurfürst Friedrich III. (König Friedrich I.) erlegte 66ender Hirsch. Hohenzollern-Jahrbuch VII, 1903, S. 157–164. – Hermann Voß, Andreas Schlüter’s Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten und die Beziehungen des Meisters zur italienischen und französischen Kunst. Jahrbuch der Kgl. Preuß. Kunstsammlungen Berlin, 1908. Bd. XXIX, III. Heft, S. 137. – J. G. Wachter, Der große königliche Sarg, Beschrieben [194] durch J. G. Wachter, Professor und Inventor der Inscriptiones und Bas-reliefs an demselbigen Sarg. Berlin o. J. – Prof. P. Wallé, Schlüter’s Wirken in St. Petersburg. Berlin 1901. – A. Woltmann, Die Baugeschichte Berlins. Berlin 1873.

[184] *) Zu Bd. LIV, S. 54.